Illustration Tür – Schlüssel als Schatten des Spracherwerbs
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Flucht & Freiheit

Wie eine junge Afghanin in der Schweiz ein neues Leben aufbaute.

Nach ihrer Flucht vor den Taliban fand Nafissa Ahmadi* mit ihrer Familie in der Schweiz ein neues Zuhause. Heute zeigt sie sich gern auf verschiedene Weise erkenntlich für die Hilfe, die sie damals erhalten hatte.

«This is Switzerland, the best country in the world. You can stay here.» Nafissa und ihr Mann waren verwirrt. Sie wollten ja gar nicht in die Schweiz – in ein Land, von dem sie nichts wussten. Doch der Zöllner, der sie aufgehalten halte, beharrte darauf, dass sie ihm folgten. Wie war es dazu gekommen, dass Nafissa und ihre Familie nun in dieser Situation waren? Nafissa erzählt:

«Ich bin in Afghanistan geboren und aufgewachsen. Ich habe dort die Schule besucht. Das System war ähnlich wie hier im europäischen Raum. Nach der neunten Klasse habe ich in einem grossen Spital mit der Ausbildung zur Krankenschwester begonnen.»

Mobile Ahmadi Schule Afghanistan
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«Ich ging sehr gerne zur Schule und habe diese Zeit sehr genossen. Meine Eltern waren Analphabeten und haben mich immer motiviert.»

Über Nacht in der Hölle

«Dann kamen die Taliban an die Macht und alles änderte sich. Keine Bildung mehr für Frauen und Hausarrest. Im Versteckten habe ich jedoch weiter Infusionen gelegt und Spritzen gegeben – zuhause und auswärts. Eines Abends wurden mein Vater und ich auf dem Rückweg von einem dieser ‹illegalen› Einsätze erwischt. Einer der Taliban hielt mir seine Waffe an die Stirn, der andere bedrohte meinen Vater. Mein Vater flehte in ihrer Sprache (Paschtu), die er im Militär gelernt hatte, um unser Leben. Wir hatten unglaubliches Glück. Doch ab diesem Zeitpunkt war es vorbei mit Spritzen geben und Infusionen legen.

Die Flucht

Nach über zehn Jahren in dieser Hölle flohen mein Mann und ich mit unserem damals fünfjährigen Kind aus Afghanistan. Unser Ziel war Schweden. Wir mussten das Kind auf unseren Schultern tragen, zehn Stunden marschieren und manchmal auch rennen. Waren wir am Ende unserer Kräfte, wurden wir unter Waffengewalt und Todesdrohungen zum Weitergehen gezwungen.

Wir waren ungefähr zwei Monate unterwegs, meistens zu Fuss. Davon wurden wir etwa zehn Tage als Geiseln gehalten. Da die Bezahlung nicht erfolgt war, wollte sich der Schlepper mit unseren Leben rächen. Mit dem Boot gelangten wir nach Italien. Von dort reisten wir mit dem Zug weiter. Der Schlepper hatte uns für viel Geld gefälschte Ausweise besorgt. Nach kurzer Zeit im Zug folgte eine Zollkontrolle. Wir wurden erwischt und mussten aussteigen. Wir zitterten und weinten.»

Familie Ahmadi auf der Flucht vor den Taliban.
Nafissa flüchtet mit ihrem Kind auf den Schultern.

«Es ist unmöglich in Worte zu fassen, was man auf der Flucht durchmacht. Welche Grausamkeit! Die Menschlichkeit wird vergessen. Die Schlepper werden zu Monstern.»

Start in ein neues Leben

«Unsere Fingerabdrücke wurden genommen und wir kamen für zwei Wochen in ein Flüchtlingszentrum im Tessin. Dann erhielten wir Bahntickets und einen Fahrplan. So kamen wir nach Bern. Wieder lebten wir für einige Monate in einem Flüchtlingszentrum, bevor wir in eine Wohnung umziehen konnten: unser neues Leben begann. Kurze Zeit später erhielten wir eine Einladung der Heilsarmee zu einem Beratungsgespräch mit einem Sozialarbeiter. Nach einigen Fragen zu unseren Zielen und Bildung, meldete er uns für den Deutsch-Intensivkurs an.»

Ahmadi Schule mit Lehrerin
Deutschunterricht in der Heilsarmee lernpunkt

«Dieses Leben in Ehre und Würde könnten wir nicht leben, wenn uns die Heilsarmee nicht all diese Kurse ermöglicht hätte.»

Lern.Punkt – wenn ein Spachkurs Türen öffnet

«Fünf Tage die Woche besuchten mein Mann und ich den Deutschkurs im Lern.Punkt. Einer morgens, der andere nachmittags, damit die Kinderbetreuung sichergestellt war. Kurz darauf folgte die Einschulung unseres Kindes in eine Tagesschule. Das ermöglichte uns, mehr auswärts tätig zu sein – schnuppern zu gehen, kleine Arbeiten im Stundenlohn anzunehmen oder auch Freiwilligenarbeit zu leisten. Wir haben alles Mögliche gemacht.

Ich besuchte auch den Computerkurs, ein weiteres Angebot des Lern.Punkts. Gleichzeitig begann ich die Ausbildung zur Spielgruppenleiterin sowie zur Fachfrau Betreuung Kind EFZ. Zudem liess ich mich zur interkulturellen Übersetzerin ausbilden. Alle Ausbildungen schloss ich erfolgreich ab.»

Grosse Belatung für eine Migrantin: Das Leben umstellen
Multitasking

«Neben meinem Job als interkulturelle Übersetzerin, habe ich auch immer gearbeitet – geputzt, gereinigt, was auch immer ich tun konnte. Zudem ging ich meiner Pflicht als Mama nach. Das waren endlose Tage.»

Integration lohnt sich

«Kommunizieren, einen Lebenslauf erstellen und sich bewerben – all das ist ohne Sprache nicht möglich! Hätte ich diese Kurse nicht besucht, wäre ich sicherlich auf der Strasse gelandet und hätte gebettelt. Daher ist es sinnvoll, in Flüchtlinge zu investieren. Es ist schön, dass die Schweiz Flüchtlinge aufnimmt und ihnen Sicherheit bietet. Sie können dank diesem integrativen System, ein neues Leben beginnen, sich in die Gesellschaft einfügen und zurückgeben, was sie erhalten haben.»

Vom Deutschkurs zum erfolgreichen Unternehmen – wie Nafissa und ihr Mann unabhängig wurden

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«Die Sprache ist wie ein Schlüssel, der eine Tür nach der anderen öffnet. Auch wenn es schwerfällt, sie zu lernen, ist es der erste und wichtigste Schritt, den man machen muss. Es ist wie ein kleines Licht, das durchs Fenster scheint und immer heller und heller wird.»

Der Schlüssel zum Glück

«Ich rate allen Flüchtlingen, den Deutschkurs zu besuchen. Denn ohne Sprachkenntnisse können Dinge, wie einen Brief lesen oder verfassen, Rechnungen bezahlen und Behördengänge zu beinahe unüberwindbaren Hindernissen werden. Schlimmstenfalls leiden die Kinder, da sie für ihre Eltern übersetzen müssen und dadurch den Schulunterricht verpassen.»

Nafissa und ihre Familie haben in der Schweiz ein neues Leben gefunden. Sie sind integriert, gehen mit grossem Engagement ihren beruflichen Tätigkeiten nach, pflegen einen engen Kontakt zur Nachbarschaft und leisten einen wichtigen Beitrag für eine vielseitige Gemeinschaft. Eine erfolgreiche Integration ist ein Gewinn für alle.

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Das Asylverfahren in der Schweiz

2019 wurde das Schweizer Asylgesetz revidiert. Seither werden ca. 72% der Asylverfahren innerhalb von 140 Tagen durchgeführt und abgeschlossen. Diese Auflistung führt die wichtigsten Schritte auf.

1. Vorbereitungsphase – Bundeszentrum

Nach Einreichung des Gesuchs werden alle Asylsuchenden einem Bundesasylzentrum zugewiesen. Innert 10 bis 21 Tagen werden dort zunächst die Identität der Asylsuchenden und die Zuständigkeit der Schweiz für die Durchführung des Asylverfahrens abgeklärt.

2. Dublin, beschleunigtes Verfahren – Bundeszentrum

Für Geflüchtete, die über einen Drittstaat in der Schweiz ein Asylgesuch stellen, wird zuerst geprüft, welcher Dublin-Staat für die Behandlung des Asylgesuchs zuständig ist. Es werden der Reiseweg und die Familienverhältnisse eruiert und ein Abgleich der Fingerabdrücke durchgeführt. Falls aus Sicht der Schweiz ein anderer Dublin-Staat für das Verfahren zuständig ist, wird dieser ersucht, das Asylverfahren der asylsuchenden Person durchzuführen (so genanntes Out-Verfahren). Falls kein anderer Staat zuständig ist, wird das ordentliche nationale Asylverfahren eingeleitet.


Nach Abschluss der Vorbereitungsphase wird eine Asylanhörung mit Dolmetschern durchgeführt. Wird auf das Gesuch eingegangen? Sind die Anforderungen an die Flüchtlingseigenschaft (z. B. Flucht aufgrund Bedrohung an Leib und Leben) und die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl erfüllt? Liegen allfällige Wegweisungshindernisse (z.B. Gefahr der Verfolgung im Heimatland) vor? Steht nach der Anhörung zu den Asylgründen fest, dass das Gesuch abschliessend beurteilt werden kann, wird im beschleunigten Verfahren innert 8 Arbeitstagen ein erstinstanzlicher Asylentscheid direkt im Bundesasylzentrum gefällt.

3. Erweitertes Verfahren – Kantone & Gemeinden

Asylsuchende, deren Gesuch nicht in einem Bundesasylzentrum entschieden werden kann, weil bspw. weitere Abklärungen notwendig sind, werden bis zum Abschluss des Asylverfahrens einem Kanton zugewiesen und dort untergebracht und betreut. Der Zuweisungskanton bleibt sowohl bei einem positiven als auch bei einem negativen Asylentscheid für die weiteren Schritte (Integration oder Vollzug der Wegweisung) zuständig.

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