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Ruth's Geschichte als Audio-Podcast
«Ich bin die Tochter eines Heilsarmee-Offiziers. Ich bin zu einer Zeit geboren, wo die Heilsarmee noch verpönt war. Uns Kindern wurde nachgerufen und wir wurden ins Abseits gestellt. Angeblich hatten wir ja Läuse und Flöhe. Wir waren sehr isoliert mit der Heilsarmee. Das ist meine erste Jugenderinnerung, bis ich dann selbstständig wurde und von daheim fortging.»
Ins Ausland zieht es die junge Ruth. Nach England, wo sie eine Ausbildung zur Pflegerin macht. Kaum zurück in der Schweiz, zieht es sie wieder in die Ferne.
«Ich habe mich auf eine Stelle in Sao Paulo im amerikanischen Spital beworben. Nur mit den Patienten hätte ich Portugiesisch sprechen können. Alle Ärzte sprachen Englisch und privat wurde fast nur Deutsch gesprochen. Ich konnte mich durchschlagen, aber leider lernte ich nie Portugiesisch – eine schöne Sprache. Ich habe mich nie fremd gefühlt, aber ich konnte die Sprache des Volkes nicht. Und das ist natürlich enorm hinderlich. Darum bin ich zurück in die Schweiz gekommen.»
Ein Lebenspartner an ihrer Seite, gemeinsame Reisen nach Spanien – Ruth fehlt es eigentlich an nichts. Doch dann bricht eine Welt zusammen, plötzlich und unerwartet stirbt ihr Partner. Ruth bleibt allein zurück.
«Ich habe mich nicht getraut, auf Leute zuzugehen. Ich war noch so geprägt.»
«Zu Beginn brauchte ich etwas Einsamkeit, um darüber hinwegzukommen. Dann begann ich, mir eine Gemeinde (Kirche) zu suchen. Weil ich allein war! Ich habe nirgends eine Gemeinde und nirgends Anschluss gefunden. Dies hat mich richtig beelendet. Ich fragte: ‚Herr Jesus, was soll ich denn machen? Wo soll ich denn hin?‘ Da sagte er: ‚Geh zurück in die Heilsarmee. Dorthin, wo du fortgegangen bist.‘
So besuchte ich den „Heimbund“ der Heilsarmee. Es war ganz lustig, wie sie mich aufgenommen haben. Aber ich wurde aufgenommen und eingeladen am Gottesdienst teilzunehmen.
Ich ging in den Gottesdienst und bekam den Schock meines Lebens. Ich war seit sicher etwa 50 Jahre nicht mehr in der Heilsarmee. Und sie hat sich ganz enorm verändert! Sie sprangen herum und spielten jazzige Musik. Das hat mich dermassen schockiert! Aber als ich rausging, sagte der Offizier, der an der Tür stand, zu mir: ‚Ich habe Sie noch nie gesehen! Wer sind Sie? Sind Sie neu hier?‘ Da dachte ich: ‚Ach, mal einer, der mich wenigstens sieht.‘
Seitdem gehe ich in die Heilsarmee in Biel. Ich habe eine Familie gefunden.
Ich fühle mich in der Heilsarmee einfach zuhause. Ich kann mit allem kommen. Wir haben auch richtig schöne Zeiten miteinander. Ich muss also sagen, ich bin dankbar dafür. Ich bin komplett integriert. Ich habe das gefunden, was ich gesucht habe.
Es ist ein Zusammensein, das viel Einsamkeit fortschiebt.»
«Nah sein, ist zurzeit schwierig, aber man merkt, dass man verbunden ist.»
Ruth will Betroffenen Mut machen.
«Einsamkeit habe ich natürlich bereits kennengelernt, als ich in fremden Ländern gewohnt habe. Kein Kontakt und ich konnte die Sprache nicht. Aber es formt einen auch. Und man trifft immer wieder Menschen, die ebenfalls einsam sind. Und das spürt man. Und dann redet man miteinander. Wir haben ja alle Telefone und wir können einander schreiben!
Ich habe mich oft ins Gebet geflüchtet. Ich glaube, es gibt nichts Wichtigeres als das Gebet. Das habe ich schon von meinem Vater gelernt. Mein Vater war ein grosser Beter. Ich wusste, dass es das Richtige ist, aber ich habe es immer wieder von mir gestossen. Dann kommt eine Zeit, wo du weisst: Es ist das Einzige, was du jetzt machen kannst, was dich aufbaut. Und man ist in der Ruhe. Und man ist verbunden. Sind dann auch noch andere Menschen dabei, ist es noch schöner.»
Und das wünscht sich Ruth für die kommende Zeit, «dass die Menschheit aufmerksam wird auf das, was rundherum passiert. Aufmerksam werden auf den Nachbarn. Dass er auch integriert wird. Dass er etwas von einem hört.»
Judith Nünlist
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Nicole Schwarz
Yeah ich kenne Ruth. Ihre Geschichte ist so toll und sie ist so toll. Danke für diesen Beitrag.
Gino Brenni, Heilsarmee Autor
Vielen Dank, Nicole. Ruth’s Geschichte ist wirklich berührend und macht hoffentlich vielen Menschen Mut.