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Bereits als Kind konnte Stephan* die Distanz zu geliebten Menschen kaum ertragen. Trennungen, auch zeitlich beschränkte, belasteten ihn immer schwer: «Ich fiel jedes Mal in ein tiefes Loch. Daher fiel es mir schwer, mich auf Beziehungen einzulassen und Nähe zuzulassen.»
Hochs und Tiefs
Während der Lehre schenkte ihm sein Vater eine Fotokamera. Litt Stephan unter depressiven Verstimmungen, war das Fotografieren eine hilfreiche Therapie für ihn. «Blickte ich durch den Sucher und fokussierte mich auf das Sujet, hatte das einen meditativen Charakter und danach ging es mir wieder besser», erklärt er und weiter «Das Fotografieren ist eine grosse Leidenschaft von mir. Ich machte eine einjährige Ausbildung, besuchte einen Workshop und hatte eine eigene Dunkelkammer für die Bearbeitung der Filme und Bilder.»
Im Verlauf seiner Ausbildung verliebte sich Stephan das erste Mal richtig: «Ich hatte eine Freundin und war glücklich.» Doch nach ein paar Monaten zerbrach die Beziehung, während er in der Rekrutenschule war. Die Trennung war der Auslöser für seine erste schwere Depression. Da er seine gewohnten Mechanismen, sich in einer belastenden Situation zu stabilisieren, im militärisch strukturierten Alltag nicht anwenden konnte, wogen die Folgen schwer.
Alkoholsucht und Rehabilitation
Im Ausgang trank Stephan ein paar Biere und fühlte sich danach viel besser. Das war der Anfang des Trinkens. Stephan trank, damit die Depression verschwand. So wurde der Alkohol zu seinem stetigen Begleiter. Die Fotografie gab er in dieser Zeit auf. Nach fünf Jahren folgte die Wende. «Aufgrund meiner Alkoholsucht hatte ich den Halt verloren. Nichts ging mehr. Ich konnte nicht mehr arbeiten und hatte keinen Job mehr», führt Stephan aus.
Der Psychiater empfahl Stephan einen Klinikaufenthalt. Er folgte dem Rat und begab sich in eine stationäre Therapie. Er hörte auf zu trinken und dadurch ging es bergauf. Nach drei Monaten konnte er die Klinik verlassen. Stephan trat den Anonymen Alkoholikern und einer Selbsthilfegruppe bei und begann wieder zu fotografieren: «Mein Leben war wieder in Ordnung.»
Ein Leben bestimmt durch die Depression
Aufgrund der positiven Erfahrung während seines Klinikaufenthalts strebte Stephan einen Berufswechsel an. Er absolvierte erfolgreich die sozialpädagogische Ausbildung und fand eine Stelle in einem Wohn- und Pflegeheim. Als Sozialpädagoge blühte Stephan auf. Er fühlte sich im Team sehr wohl und hatte eine gute Zeit.
Dann änderte die Teamleitung und damit alles andere auch. Zudem scheiterte seine damalige Beziehung. Wieder hatte Stephan mit Depressionen zu kämpfen. «Ich brauchte eine Veränderung. So kündigte ich meinen Job und meine Wohnung, packte meine Kamera ein und fuhr mit dem Velo den Pilgerweg bis nach Santiago de Compostela. Das war eine fantastische Reise! Ich habe viel erlebt und fuhr auch gemeinsam mit anderen. Während der Tour hatte ich keine Depressionen», schildert Stephan.
Tagesstruktur und soziale Kontakte
Doch nach seiner Rückkehr kehrten die Depressionen wiederholt zurück und zwangen ihn immer wieder in die Knie. Job- und Ortswechsel oder Therapien – nichts brachte eine dauerhafte Besserung. Irgendwann konnte Stephan aufgrund der wiederkehrenden, im Fachjargon rezidivierenden, Depression nicht mehr arbeiten und erhielt eine IV-Rente.
Durch die Arbeitsunfähigkeit fielen Stephans Tagesstruktur und ein Teil seiner sozialen Kontakte weg, was wiederum seine Depressionen förderte: «Ich hatte keine Perspektiven mehr, verlor die Lebensfreude und fiel in ein tiefes Loch.» Mehrere Aufenthalte in Tageskliniken brachten kurzfristig eine Besserung. Doch verliess er die Klinik, kehrten die Depressionen zurück. Es dauerte einige Jahre bis Stephan fähig war, sich selbst eine Tagesstruktur zu geben und diese zu halten: «Ich begann damit, nach dem Frühstück das Haus zu verlassen und Sport zu treiben. So war ich draussen und bewegte mich. Nachmittags pflegte ich die wenigen sozialen Kontakte, die mir geblieben waren. Zudem besuchte ich regelmässig einen Nachmittagstreff, wo ich wiederum Kontakt zu Menschen hatte.»
Rückfall in die Alkoholsucht
Diese Tagesstruktur ermöglichte Stephan einige gute Jahre. Nach mehreren Umzügen in kürzester Zeit und einem weiteren Beziehung-Aus verfiel er jedoch erneut in eine tiefe Depression: «Diesmal blieb die Depression und wich nicht wie gewohnt nach einiger Zeit wieder», erklärt Stephan. Er war am Ende seiner Kräfte und verlor den letzten Funken Lebensfreude: «Trotz einer stationären psychiatrischen Therapie begann ich wieder mit dem Trinken. Ich nutzte jede Gelegenheit ausserhalb der Klinik, um mich mit Alkohol zu betäuben. Trotz mehrerer Entzüge wurde ich immer wieder rückfällig», führt er weiter aus.
Kurze Zeit später begann Stephan in der KunstWerkstatt des Buchseeguts einer Beschäftigung nachzugehen. «Die Arbeit hier gefällt mir gut. Es gibt keinen Leistungsdruck und es wird Wert daraufgelegt, dass die Menschen mit ihrer Arbeit zufrieden sind», führt Stephan aus. Im Rahmen seines Engagements im Kunst-Atelier hat Stephan seit langem auch wieder zum ersten Mal zur Fotokamera gegriffen: «Das hat mir grossen Spass gemacht und ich möchte künftig wieder mehr fotografieren.»
Neue Lebensfreude
Die Tagesstruktur, die liebevolle Betreuung, das Umfeld der Heilsarmee und der Glaube sind Stephan grosse Stützen in seiner Abstinenz. Und nicht nur das: seit er im Buchseegut ist, hat er deutlich weniger Depressionen. Dazu Stephan: « Ich habe wieder mehr Lebensfreude und kann in die Zukunft blicken. Ich bin stabiler und abstinent. Mein nächstes Ziel ist es, wieder selbstständig leben zu können.» Stephan hat sich für eine Aussenwohnung angemeldet und steht ganz oben auf der Liste. Seiner Tätigkeit im Atelier wird er weiterhin nachgehen: «So habe ich dennoch eine Anbindung und Tagesstruktur. Ich werde auch weiterhin begleitet bis der Tag kommt, an dem ich wieder komplett eigenständig leben kann.»
- Kunst-Atelier Das Kunst-Atelier ist Bestandteil der KunstWerkstatt. Im Vordergrund liegt die Förderung der Kreativität. Das selbstwirksame Erleben steht im Zentrum, nicht das Produkt. Den Teilnehmenden werden Möglichkeiten und Materialien geboten, um individuelle Projekte zu realisieren.
Abschliessend führt Stephan aus: «Ich bin zufrieden und habe wieder ein Ziel vor Augen. Ich habe gelernt, Geduld zu haben und nicht aufzugeben. Wichtig ist, den Mut nicht zu verlieren und daran zu glauben, dass es besser wird, egal wie schlecht es einem geht. Hält man am Glauben an eine bessere Zukunft fest, wird sich immer wieder eine Tür öffnen. Das klingt vielleicht etwas abgegriffen, aber es ist wirklich so – ich habe es erlebt.»
Betreutes Wohnen und Arbeiten in einem geschützten Rahmen
Das Buchseegut der Heilsarmee bietet im Herzen von Köniz betreutes Wohnen und geschützte Arbeitsplätze für Menschen in schwierigen Lebenssituationen.
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