Franz K., Bewohner Hertihus, Bülach, Gespräch mit einer Betreuerin
Franz K., Bewohner Hertihus, Bülach, Gespräch mit einer Betreuerin

«Zum Lebensabend hatte ich es mir mit meinem Vreni in unserem Wohnwagen gemütlich gemacht. Den Wohnwagen habe ich mit meinen eigenen Händen ausgebaut. Nach der Pension gaben wir unsere Wohnung auf. Das ‹Wägeli› wurde unser Daheim. Ende Jahr fuhren wir zum Überwintern jeweils nach Spanien. Das ungebundene Leben auf Reisen ist immer unser Traum gewesen. Viele Jahre hatten wir dafür gespart und bescheiden gelebt. Mit unserem Zuhause auf Rädern reisten wir quer durch Europa.

Reise mit fatalen Folgen

Meine Frau wurde auf einer Reise nach Deutschland schwer krank. Sie hatte sich mit Bakterien angesteckt. Das war vor sechs Jahren. Damals grassierte eine Epidemie mit Symptomen einer Darmgrippe im Norden Deutschlands. Erst dachten wir uns nichts dabei. So eine Grippe kann jeden einmal treffen. Vreni klagte jedoch über starke Schmerzen und musste sich dauernd übergeben. Der Arzt verschrieb ihr die üblichen Medikamente. Ich hoffte, dass sie sich in Spanien wieder erholen würde. Wie immer fuhren wir im Winter wieder hinunter. Meine Frau war bald so schwach, dass sie den Rollator zum Gehen brauchte. Ich erkannte mein Vreni nicht wieder. Früher hatten wir so viel gemeinsam unternommen, jetzt konnte sie fast nicht mehr selbständig gehen. Das war doch nicht normal! Ich konnte nicht mehr hilflos zusehen und brachte sie zurück in die Schweiz. 17 Infusionen mit Medikamenten und Flüssigkeit pumpten sie ihr im Spital in den Arm. Doch es half nichts. Nach wenigen Tagen hatte Vreni den Kampf gegen die Bakterien verloren. Sie war innerlich regelrecht ausgetrocknet.

Allein schaffte ich es nicht mehr

Mit dem qualvollen Tod meiner Frau starb auch ein Teil von mir. Ich stürzte in ein grauenhaftes Loch. Ich verschanzte mich im Wohnwagen, doch es war nicht mehr wie früher. Kein Gefühl mehr von Zuhausesein, kein Vreni mehr, kein Lebenstraum mehr. Ohne sie hatte alles keinen Sinn mehr. Wie gerne hätte ich ihr noch die tiefblauen Seen in Schweden gezeigt. Diese Reise war ihr letzter Wunsch. Jetzt war ich allein. Allein mit mir und meinem Schmerz. Ich wollte mit niemandem reden, ich konnte einfach nicht. Ich bin schon immer eher ein Einzelgänger gewesen. Viel zu oft musste ich im Leben erfahren, dass auf andere kein Verlass ist. Ging es mir schlecht, musste ich mir selbst helfen. Mit Alkohol versuchte ich den Verlust zu verdrängen. Früher hatten Vreni und ich alles zusammen gemacht: den Haushalt erledigt, gekocht und gelacht. Allein schaffte ich das nicht mehr. Ich kümmerte mich um nichts und niemanden mehr, liess mich total gehen. Meine Rechnungen hatte ich schon lange nicht mehr bezahlt. Den Ernst der Lage erkannte ich erst, als ein Mann vom Amt vor der Tür stand. Den Wohnwagen musste ich verkaufen und in eine Sozialwohnung ziehen. Jetzt hatte ich alles verloren.

Vreni wäre stolz auf mich.

Ein Sozialarbeiter kam vorbei und drängte mich, in ein betreutes Wohnheim zu ziehen. Ich konnte meine Not nicht mehr leugnen und besuchte mit ihm das Hertihus der Heilsarmee in Bülach. Anfangs war ich skeptisch, heute bin ich sehr froh, dass ich eingezogen bin. Hier habe ich eine sinnvolle Aufgabe gefunden. Das Zittern meiner Hände hatte mich nachdenklich gemacht. Die Freude am Handwerk wollte ich nicht auch noch verlieren. Von einem Tag auf den anderen hörte ich mit dem Trinken auf. In der hauseigenen Werkstatt im Keller arbeite ich mit Holz. Auch meine Hände machen wieder mit. Es gelingt mir sogar, kleinste Puzzleteile aus Holz auszusägen. Jedes Landschaftspuzzle ist ein Unikat und dreidimensional. Häuser, Bäume, Schiffe und Schlösser lassen sich frei auf der Landschaft platzieren. Und ich erinnere mich wieder an die Orte, die ich mit meinem Vreni besucht habe. Meine 3D-Puzzles erfreuen aber auch andere.»

* Zum Schutz der Privatsphäre wurde der Name geändert und eine andere Person abgebildet.

Mehr zum Hertihus
Zurück nach oben