2025-03-12 Amel Oussaifi _co Melanie Bonomi_-212
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Amel* bewies bemerkenswerten Mut und Widerstandskraft während ihrer gesamten Laufbahn.

Ohne Liebe aufwachsen

Amel wuchs in einem kleinen Dorf im Süden Tunesiens auf. Zuerst lebte sie bei ihren Grosseltern, wo sie die Liebe und Fürsorge genoss, die man sich für ein Kind wünscht. Als sie schulpflichtig wurde und zu ihren leiblichen Eltern kam, änderte sich alles. Seitdem vermisste Amel die Geborgenheit, die sie bei ihren Grosseltern erfahren hatte. Ihr Alltag war von nun an von Arbeit und Schlägen geprägt. «Frauen und Kinder zu schlagen, ist dort ganz normal», sagt sie. «Es war ein Schock für mich, als ich meine Eltern zum ersten Mal traf. Ich musste schnell erwachsen werden.»

Nach den Misshandlungen in der eigenen Familie setzte sich das Unheil im Erwachsenenalter fort, als sie mit 26 Jahren allein nach Sousse zog. Dort erlebte sie sogar sexuelle Gewalt.

Schwierige Flucht

«Ich war arm, aber wenn ich in meiner Familie Liebe gefunden hätte, wäre ich geblieben. Alles, was ich wollte, war eine Familie», sagt Amel. Leider fand sie dort nur Gewalt. Deshalb beschloss sie einige Jahre später, ihr Land zu verlassen, ohne einen Plan oder eine genaue Route zu haben. «In Tunesien bin ich schon wie tot, anderswo kann es nur besser sein», dachte sie. «Also musste ich gehen, mit dem Risiko, dass ich unterwegs sterben würde.»

Mit Hilfe eines Schleppers verliess sie Tunesien und reiste über die Türkei, Serbien und Österreich nach Genf. Ihre Reise war von mehreren gefährlichen Erlebnissen geprägt, darunter ein fünftägiger Marsch mit einer Gruppe von Männern, die sie misshandelten, Krankheiten und Verletzungen. In der Schweiz angekommen, gelang es ihr mithilfe eines Bekannten, der in Kanada lebt und sie finanziell unterstützte, eine Unterkunft zu finden. Sie wechselte mehrmals die Unterkunft und wohnte unter anderem in verschiedenen Genfer Wohnheimen.

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Amel hat einen langen und steinigen Weg hinter sich.

Eines Tages suchte sie die medizinische Versorgungstelle der Gemeinde Genf auf, um eine Fussverletzung und andere gesundheitliche Probleme, die sie sich auf ihrer Reise zugezogen hatte, behandeln zu lassen. Eine grosszügige Pflegefachfrau machte sie auf die Heilsarmee und ihr Frauenhaus Bel‘Espérance aufmerksam. Dort fand sie für einige Monate Unterschlupf. Sie erzählt: «Meine letzte Gastgeberin machte mir das Leben schwer, indem sie mir Ausgangssperren auferlegte und mein Leben streng kontrollierte. Als ich hörte, dass im Heim Bel‘Espérance ein Zimmer für mich frei geworden war, habe ich keine Minute verloren: Ich habe meine Sachen gepackt und bin mit einem Lächeln auf den Lippen gegangen.»

Eine schicksalhafte Begegnung

«Ich wurde als Muslimin geboren, denn der Islam wurde uns von unseren Familien von Geburt an aufgezwungen», sagt Amel. «Ich hatte immer eine sehr enge Beziehung zu Gott. Seit meiner Kindheit habe ich regelmässig mit ihm gesprochen: Wenn ich Gewalt erlebt habe, wenn ich mein totes Haustier gefunden habe, wenn ich Kummer hatte und so weiter. Ich habe immer zu ihm gesprochen. Ich wusste nicht genau, mit wem oder was ich sprach, aber ich wusste, dass ich mit einer göttlichen Entität sprach.» Mehrere Jahre lang ging Amel brav in die Moschee und trug den Schleier, wie es für Tunesierinnen üblich ist. Doch nach und nach war sie nicht mehr von den Dogmen überzeugt, bis sie sich eines Tages ganz von ihnen abwandte. «Ich habe meine Entscheidung geheim gehalten, um mir Ärger zu ersparen», sagt sie heute.

Der Traum: «Diese Nacht werde ich nie vergessen»

In Genf lernte Amel durch Gabrielle mehr über die Person Jesu. Sie las Bücher und schaute sich Filme über Jesus an. Besonders berührt war sie, als sie erfuhr, wie Jesus am Kreuz starb. Eines Tages weinte sie sogar darüber und fragte sich: «Wie konnte er nur so für uns sterben?» In der darauffolgenden Nacht hatte Amel einen Traum, der sie den Sprung zum Glauben wagen liess. «Ich werde diese Nacht nie vergessen: Eine Person mit einem Kopftuch kam auf mich zu, um mich aus der Dunkelheit zu holen. Als ich Hand in Hand mit ihr ins Licht ging, sagte sie zu mir: ‹Amel, ich war immer bei dir. Ich kenne all die Schwierigkeiten, durch die du gegangen bist.› Von diesem Tag an hat sich mein Leben verändert. Ich habe an Kraft und Mut gewonnen und lasse mich nicht mehr wie früher von Prüfungen unterkriegen.»

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Seit sie zum Glauben gekommen ist, lässt sich Amel von Prüfungen nicht mehr unterkriegen.

Heute hat Amel in der Heilsarmee eine Gemeinschaft gefunden, mit der sie ihre Liebe zu Gott teilt und in der sie aufgebaut wird. Sie engagiert sich auch ehrenamtlich im «Phare», einer von der Heilsarmee betriebenen Essensausgabe, wo sie nicht nur ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellt, sondern aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen auch moralische Unterstützung und Trost anbieten kann für Menschen, die in einer schwierigen Lage sind. «Früher war ich wie tot, aber heute lebe ich wieder und mein Herz lächelt. In Jesus habe ich die Liebe gefunden und nicht mehr die Gewalt. Ich überlasse ihm alles und meine Liebe zu ihm wächst von Tag zu Tag.»

Das ist nur der Anfang

Doch die Prüfungen und Schwierigkeiten hören für Amel nicht auf, denn die Nachricht von ihrer Bekehrung freut nicht alle. Vor allem ihre Schwester, ihr einziger verbliebener Kontakt in Tunesien, wurde wütend, und die beiden sprachen fast drei Monate lang nicht mehr miteinander. «Ich glaube nicht, dass sie mir vorgeworfen hat, dass ich Christin geworden bin», sagt Amel. «Vielmehr hatte sie Angst, dass ich ihre Tochter in meinen Glauben hineinziehe und ihre Familie dadurch Repressalien durch andere Tunesier aussetzen würde. Schliesslich ist es nicht immer ohne familiäre Unruhen möglich, Jesus in sein Leben aufzunehmen.» (Matthäus 10, 34-36)

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Obwohl Amel neue Hoffnung geschöpft hat, sind die Prüfungen für sie noch lange nicht vorbei.

Für Amel ist das Verhalten ihrer Schwester eigentlich ein Spiegelbild der gesamten tunesischen Gesellschaft, vor allem im Süden des Landes, wo es ihrer Meinung nach schwierig ist, den christlichen Glauben in Freiheit zu leben. «Es gibt dort viele Christen, die ihren Glauben im Untergrund leben», erklärt sie. «Mehrere Kirchen mussten geschlossen werden, und die Christen müssen manchmal in Kellern beten. Theoretisch haben wir das Recht, unseren Glauben auszuüben, aber in der Praxis wird dieses Recht nicht respektiert.» Auch hier in Europa seien Muslime, die zum Christentum konvertiert sind, nicht immer sicher und müssten sich unauffällig verhalten, um sich vor möglichen Übergriffen zu schützen. Amel hingegen hält sich nicht bedeckt: «Ich habe keine Angst, das ist mir egal. Es ist schliesslich mein Glaube.»

Auch bedauert sie, dass sie Jesus nicht schon früher kennengelernt hat: «Wer weiss, wenn das Christentum in Tunesien nicht so ein Tabu wäre, hätte ich vielleicht als junge Frau davon gehört und wäre möglicherweise in meinem Land geblieben.» Heute träumt Amel davon, eines Tages nach Tunesien zurückzukehren, um dort von Jesus zu erzählen. «Und warum nicht als Soldatin der Heilsarmee?», schlägt sie zum Schluss vor.

 

 

 

*Zum Schutz der Privatsphäre wurde eine andere Person anonym abgebildet.

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