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An den Velo-Unfall vor acht Jahren erinnert sich Hans Streun, als sei es gestern gewesen.
«Das Auto hat mich mit hoher Geschwindigkeit erfasst, ich stürzte vom Velo und landete verletzt im Strassengraben.» Langsam sei er zum Auto gehumpelt. Ausser ihm und dem betrunkenen Autofahrer sei niemand da gewesen. «Mir blieb nichts anderes übrig: Ich zwängte mich auf die Rückbank und der Betrunkene fuhr mich ins Spital nach Münsingen.»
Streuns linker Fuss war übel zugerichtet, fünf Wochen dauerte der Spitalaufenthalt. Und die Abwärtsspirale nahm ihren Lauf.
Offene Wunde
Streun verliess seine geliebte Hütte auf dem Gurnigel und zog zurück in die Stadt. «Es war einfach zu weit. Mit dem lädierten Fuss hätte ich nicht mehr mit dem Velo vom Gurnigel nach Bern zur Arbeit fahren können.»
Streun arbeitete als Motorradmechaniker. Später hatte er eine kleine Werkstatt, in der er alte Autos reparierte. Nachdem einiges schief gelaufen war, wurde das Geld immer knapper.
«Weil ich die Miete nicht mehr bezahlen konnte, warfen sie mich aus der Wohnung», erinnert sich Streun. Wie lange er danach auf der Strasse gelebt hat, will der 69-Jährige nicht sagen. Nur ungern denkt er an diese Zeit zurück.
Wie er schliesslich zur Heilsarmee kam, weiss er jedoch noch genau. «Nach einigen Besuchen im Aufenthaltsraum an der Postgasse hat mir die Passantenhilfe ein Zimmer im Lorrainehof der Heilsarmee vermittelt.» An der Berner Postgasse betreibt die Heilsarmee zusammen mit anderen Kirchen aus der Region einen Aufenthaltsraum für Randständige. Streun sei immer wieder dort aufgetaucht.
Die offene Wunde an seinem Fuss sei den Betreuern aufgefallen, weiss Christian Russ, Leiter des Alters- und Pflegeheims Lorrainehof. Anfang November sei Streun dann zu ihnen gekommen. In verkommenem Zustand.
Sein Töffli bedeutete ihm Freiheit
«Sein ganzes Hab und Gut hatte Streun in zwei Säcken auf dem Töffli verstaut. Isomatte und Schlafsack auf dem Gepäckträger. Die Krücke war vorne am Lenker eingespannt», berichtet Russ von der Ankunft des Vagabunden.
Das Leben auf der Strasse hatte Streun gezeichnet. Die Wunde an seinem Fuss war aufgeplatzt. Nach der Ankunft im Heilsarmee-Heim musste er direkt zum Notarzt, der eine Amputation des Fusses gerade noch verhindern konnte. «Viel zu lange hatte Streun wohl selbst an der Wunde rumgedoktert, sie war schon eitrig», erinnert sich Russ, der den Überlebenskünstler seither betreut.
Das Bewohnerprogramm im Lorrainehof lässt er fast nie ausfallen. «Mir gefällt das gemeinsame Singen, manchmal tanzen wir sogar», erzählt Streun strahlend. Am liebsten singe er Heimatlieder oder Schlager. Den Schacher Seppli oder Lieder von Peter Hinnen. «Auf meiner Ranch bin ich König»: Streuns Lieblingslied erinnert an seine Vergangenheit. An das rastlose und freie Leben im Naturpark in der Hütte auf dem Gurnigel. Die weite Welt hat ihn nie gelockt. Sein Herz schlug stets für sein Bern.
Auf seinem kaputten Piaggo wehte die Berner Fahne. In Erinnerungen schwelgend, erzählt er, dass er Gitarre spielt und viel mit seiner Schwester gesungen hat. «Als wir jung waren, habe ich mit ihr bei einem Gesangswettbewerb den zweiten Platz geholt.» Heute besuche er sie ab und zu im Altersheim. Sie wohne direkt in der Nähe.
Ausser seiner Schwester hat Streun keine lebenden Verwandten mehr. Geheiratet hat er nie. Wehmütig denkt er an seine grosse Liebe zurück. «Als ich aus der Rekrutenschule nach Hause kam, gestand mir meine Freundin, dass sie einen anderen hat. Ich war am Boden zerstört.» Es scheint, als hätte Streun in seinem Leben einige Enttäuschungen durchgemacht. Im Alters- und Pflegeheim Lorrainehof kann er nun etwas zur Ruhe kommen und wieder neue Gemeinschaft finden. «Ich bin sehr zufrieden hier. Ich habe gute Leute kennengelernt», so Streun glücklich.
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Gino Brenni
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