Projekt «Magellan» – Erfüllung durch mehr Selbstbestimmung
Vor gut zehn Jahren rief die Wohn- und Werkstätte «Centre-Espoir» in Genf das Projekt «Magellan» ins Leben. Ziel war es, den Bewohnerinnen und Bewohnern mehr Raum zur Selbstbestimmung zu ermöglichen. Was daraus wurde? Ein Erfahrungsbericht.
Gemeinsamer Einkauf für die Einrichtung des Appartements für Familientreffen.
Im Wohnheim «Centre-Espoir» in Genf finden IV-Bezügerinnen und IV-Bezüger im Alter zwischen 18 bis 65 Jahren, deren psychische Gesundheit angeschlagen ist, einen geeigneten Wohn- und Arbeitsplatz.
Ziel ist es, die Bewohnenden in ihren Lebensplänen zu unterstützen, ihre Selbstständigkeit, Gesundheit und persönliche Entwicklung zu fördern und insgesamt zu einer Steigerung ihrer Lebensqualität und Zufriedenheit beizutragen.
Vor über zehn Jahren erkannten die damaligen Institutionsverantwortlichen den Reichtum und die Ressourcen der Menschen, die im «Centre-Espoir» lebten und arbeiteten, und dass die begleiteten Personen die Möglichkeit hatten, diese zu entfalten, wenn sie die Gelegenheit dazu erhielten.
In Zusammenarbeit mit internen und externen Fachexpertinnen und Fachexperten sowie mit zwei Bewohnenden und zwei Arbeitnehmenden wurde daher das Pilotprojekt «Magellan» erarbeitet und im November 2014 eingeführt.
«Werde Kapitän an Bord deines eigenen Schiffes, indem du dich selbst, andere und die Umwelt respektierst.»
Leitsatz des Projekts
Ziel des Projekts ist es, die begleiteten Personen dabei zu unterstützen, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen. «Es geht darum, Entscheidungen zu treffen, die für das eigene Leben wichtig sind, aber mit Respekt vor den Menschen und Dingen, die einen umgeben», erklärt Patrick Rossetti, Institutionsleiter, und führt weiter aus: «Das bedeutet aber auch, sich die Zeit zu nehmen, um zuzuhören, was die Personen erleben und zu sagen haben, damit sich die Einrichtung entsprechend ihren Bedürfnissen entwickelt und ihnen Raum lässt, das zu leben, was für sie wichtig ist.»
An den «Magellan-Tagen» werden gemeinsam Ideen diskutiert und Lösungsansätze erarbeitet.
Vom Projekt zur Institutionskultur
«Es geht um Respekt und Partnerschaft.»
Patrick Rossetti
Institutionsleiter
Eine der Erkenntnisse: Oftmals gehen Fachleute schnell vor und vergessen, den Rhythmus der Menschen zu berücksichtigen, die sich aufgrund ihrer Krankheit und der Medikamente nicht so lange konzentrieren können.
Dadurch entsteht eine asymmetrische Beziehung zwischen den Betreuten und den Betreuenden. Die führt dazu, dass es ein Lager von Fachleuten gibt, die Bescheid wissen, und ein Lager von Menschen, die gute Ratschläge erhalten und umsetzen.
Dies führt jedoch zu mehr Spannungen und Unausgesprochenem, was die auf Vertrauen basierende Beziehung benachteiligt.
«Es geht um Respekt und Partnerschaft.»
Patrick Rossetti
Institutionsleiter
«Ich werde respektiert und meine Meinung wird wertgeschätzt.»
Mitarbeitende Werkstätten «Centre-Espoir»
Es hat sich daher als notwendig erwiesen, die Haltung der Fachkräfte zu überdenken, damit sich die Arbeitsweise im partnerschaftlichen Modus etablieren und formalisieren konnte.
Die Klientinnen und Klienten wurden von Anfang an einbezogen, was die Stärke des Projekts ausmacht. An den «Magellan-Tagen» wurden Bedürfnisse geklärt und gemeinsam entschieden, was wichtig ist.
Zudem wurde geklärt, wie Betroffene entsprechend ihrem eigenen Tempo und ihrer eigenen Art, Dinge zu tun und zu denken, eingebunden werden können. Dieses ständige Einbeziehen der begleiteten Personen, auch bei sensiblen und institutionell wichtigen Themen, war und ist wesentlich.
«Ich werde respektiert und meine Meinung wird wertgeschätzt.»
Mitarbeitende Werkstätten «Centre-Espoir»
Eine Investition, die sich auszahlt
Heute ist das Projekt «Magellan» fester Bestandteil der Institutionskultur und findet in fast allen Bereichen, die das Leben der Bewohnenden und Arbeitnehmenden betreffen, Anwendung.
Zusammenarbeit für ein erfolgreiches Gelingen.
Das Projekt «Magellan» lässt Raum für Individualität.
Teilhabe in allen Bereichen – von der Planung bis zum letzten prüfenden Blick.
So werden sie zum Beispiel in die Entscheidungen eingebunden, wie die Renovierung des Restaurants, die Menüvorschläge für das Essen im Restaurant, die Änderung der Hausordnung, die Planung von Feierlichkeiten in der Einrichtung oder die Umgestaltung einer Wohnung – mit Küche, Wohnzimmer, Terrasse und Schlafzimmer – in ein Familienzimmer für Besuche.
«Wenn mir ein Thema am Herzen liegt, wird es diskutiert und gemeinsam bearbeitet.»
Bewohner «Centre-Espoir»
Die Unternehmenskultur von «Magellan» basiert auf Respekt und fördert die Partnerschaft. Im Grunde können alle entsprechend ihrer Bedürfnisse und Fähigkeiten in den Prozess einbezogen werden. «Wichtig ist, dass die Meinungen der anderen respektiert werden und man mit der Entscheidung der Gruppe leben kann», erklärt eine Projektteilnehmerin.
Fazit des Projekts: Seit einigen Jahren bringen die Klientinnen und Klienten ihre Anliegen, Forderungen und Ideen viel häufiger und leichter vor als früher. Dies erfordert eine grössere Verfügbarkeit und Präsenz in den Beziehungszeiten, aber zu einem ganz klar vorteilhaften Ergebnis für alle Beteiligten.
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