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Autorin: Renate Grossenbacher, Mitarbeiterin des Gefängnisdienstes und Leiterin von «Angehört» (Beratungsstelle für Angehörige von Inhaftierten)
Jeden letzten Samstag im Monat gehe ich mit einer Gruppe Freiwilliger zu den Frauen in der Justizvollzugsanstalt Hindelbank. Wir verbringen dort eineinhalb Stunden, singen und reden mit ihnen, bei Kaffee und Gipfeli. Wir gestalten jeweils auch einen kurzen Input, und ich versuche immer, dabei auch etwas von mir persönlich mitzuteilen. Die Frauen sagen, das hilft ihnen, das Gehörte in ihr Leben zu transferieren.
Vorbild unter widrigen Umständen
Eine Frau, die eine lange Haftstrafe verbüssen muss, kommt schon seit längerem zu diesen Treffen, und sie ist mir wirklich ein Vorbild geworden. Sie ist Mutter von drei Kindern; die beiden älteren sind bereits volljährig und leben selbständig. Das jüngste Kind jedoch wurde von den Behörden in einer Pflegefamilie platziert. Am Anfang war es für sie als Mutter äusserst schwierig, diese Tatsache anzunehmen. Sie hatte Mühe, loszulassen, die Pflegefamilie und die ganze Situation zu akzeptieren, und wollte erst auch behördlich dagegen vorgehen.
Die Pflegefamilie hat das jedoch vorbildlich gemacht, hat ihren Sohn immer begleitet, wenn er seine Mutter besuchte. So hat sie nach und nach gemerkt: Die schauen gut zu meinem Sohn, sie meinen es wirklich gut mit ihm. Und sie meinen es auch gut mit mir. Heute sagt sie, dass diese Pflegefamilie wie ein Teil von ihrer Familie ist, und freut sich immer, wenn sie kommen. Zu Weihnachten und zum Geburtstag bekommt sie Geschenke von ihnen – eben wie in einer Familie.
Eine Ausstrahlung, die imponiert
Für mich ist das so berührend, diesen Weg mitverfolgen zu können. Natürlich hat die Frau die Hoffnung, dass das Strafmass noch reduziert wird. Aber sie sagt auch: «Es hat einen Grund, weshalb ich hier bin. Ich will das Positive sehen, die Chance nutzen, an mir zu arbeiten. Das hätte ich draussen so nicht gemacht. Ich habe mich weiterentwickelt, viel gelernt, auch im Umgang mit anderen Menschen. In meinem Umfeld vorher war ich sehr auf mich fixiert. Vielleicht würde ich nicht mehr leben, wenn ich nicht ins Gefängnis gekommen wäre.» Diese Haltung vermittelt sie auch den anderen Frauen, sagt ihnen, schaut nicht nur auf das Negative, wir haben auch viel Positives hier drin, und es kommt auf die Einstellung an, wie wir da sind.
Das ist für mich sehr beeindruckend – ich weiss auch nicht, wie ich mich verhalten würde in ihrer Situation … Sie hat eine Ausstrahlung, die mir wirklich imponiert.
Gastautor
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