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Wir leben in einer Ausnahmesituation
Diese pandemische Zeit ist für niemand leicht. Zahlreiche Menschen waren und sind äusserst ungewohnten und starken Belastungen und Traumata ausgesetzt. Die Einsamkeit nimmt zu. Manche greifen zu Alkohol, Drogen oder Medikamenten, um sich kurzfristig zu entlasten. Dabei riskieren sie, anstatt Lösungen zu finden, weitere Probleme zu bekommen. Wir möchten der Sache auf den Grund gehen. Nach einer ersten allgemeinen Übersicht zu den Suchttrends fokussieren wir uns auf die Jugendlichen. Was Stress, psychische Belastungen und die Anzahl schwerer Depressionen betrifft, trifft es Jugendliche am härtesten. Diese Meinung vertritt Fulvia Rot. Sie ist Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Psychotherapie (SGPP). Sie ist der Meinung: Corona entschärft diesen Trend nicht. Im Gegenteil.
Die allgemeine Situation in der Schweiz zum Thema Sucht
Das nationale Kompetenzzentrum für Prävention, Forschung und Wissensvermittlung im Suchtbereich – Sucht Schweiz – liefert in ihrem jährlich erscheinendem Report Schweizer Suchtpanorama zu den sechs Hauptsuchtthemen Alkohol, Tabak, Cannabis und andere Drogen, Medikamente, Geldspiele und digitale Welt neuste Fakten und Zahlen, stellt Zusammenhänge her und kommentiert diese. Einen Auszug aus dem Report Schweizer Suchtpanorama 2021 findest du hier.
«Wenn Kinder zu Erwachsenen werden, sind sie besonders gefährdet, Suchtmittel auszuprobieren und risikoreich zu konsumieren.»
Suchtmittelkonsum bei Jugendlichen in der Schweiz
Die Jugend ist eine turbulente Zeit! Was gefährdet Jugendliche, was schützt sie? Nicht alle Jugendlichen sind gleich gefährdet, Suchtmittel zu konsumieren und Probleme zu entwickeln. Jugendliche, welche Schulprobleme oder ein tiefes Selbstwertgefühl haben und familiär vorbelastet sind, tragen höhere Risiken. Die neurowissenschaftliche Forschung zeigt, dass die Risikobereitschaft oder die Sensationssuche teilweise auch mit Veränderungen im Gehirn erklärt werden können. Wenn Kinder zu Erwachsenen werden, sind sie besonders gefährdet, Suchtmittel auszuprobieren und risikoreich zu konsumieren. Gleichzeitig wirken sich psychoaktive Substanzen stark auf das in der Entwicklung begriffene Gehirn aus.
Welches sind die häufigsten Gründe für Sucht bei Jugendlichen?
Bei den Gründen muss unterschieden werden: Sind es Gründe, die zu einem moderaten Konsum führen oder zu einem problematischen oder führen sie zur Sucht. Jugendliche probieren gern neue Sachen aus. Sie überschreiten Grenzen und neigen zu einem Risikoverhalten. So bietet es sich auch an, Suchtmittel zu probieren. Handelt es sich um einen problematischen Konsum, so dient dieser meist der Problembewältigung, da man mit dem Alltag überfordert ist. Hier hilft der Konsum, dass man kurz Vergessen kann und sich eine Auszeit nimmt.
«Die Familie kann für zentrale Schutzfaktoren stehen, wenn Eltern für emotionale Unterstützung sorgen.»
Was gefährdet Jugendliche, was schützt sie?
Manche Jugendliche sind jedoch gefährdeter als andere, ein riskantes Verhalten oder eine Suchtproblematik zu entwickeln. Diese Gefährdung hängt aber immer von vielen verschiedenen Faktoren ab, welche ineinandergreifen. Fachpersonen sprechen von Risiko- und Schutzfaktoren. Geschäftsleiterin Rahel Gall von CONTACT Stiftung für Suchthilfe erklärt welche Faktoren bei der Vererbung von Sucht eine Rolle spielen.
Wie merke ich als Jugendliche/r, dass ich daran bin süchtig zu werden?
Wenn es nicht mehr möglich ist, selbstständig den Konsum zu kontrollieren, ist ein problematischer Konsum gegeben. Auch wenn sich der Jugendliche sagt «Jetzt ist es Zeit aufzuhören und die Prüfung vorzubereiten», kann er dies dennoch in die Tat umsetzen. Die Prüfung kommt somit zu kurz und die Konsequenz sind schlechte Noten. Eines der deutlichsten Anzeichen für ein problematisches Konsumverhalten ist der wiederholte Kontrollverlust, wie Rahel Gall, Suchtexpertin, aus Erfahrung weiss.
Was hilft problematisches Verhalten einzugestehen?
Auch wenn ein/e Jugendliche/r merkt, dass ein problematisches Konsumverhalten vorliegt, ist es dennoch schwer sich dies einzugestehen. Es wird zuerst daran festgehalten, dass die Kontrolle über das Verhalten noch gegeben ist. Das muss ja auch gegen aussen so kommuniziert werden. Hier ist es entscheidend, dass sich die Jugendlichen bewusst sind, dass es nicht ein persönliches Versagen ist. Es ist keine Willensfrage, aufzuhören oder nicht. Mechanismen, die im Gehirn ablaufen wie auch gesellschaftliche Faktoren spielen eine wichtige Rolle. Sucht ist nicht selbstverschuldet. Sich dessen bewusst zu werden, erleichtert das Eingestehen eines problematischen Konsumverhaltens und ermöglicht, das Thema anzusprechen. In einem ersten Schritt gegenüber Freunden und Erwachsenen, zu denen ein Vertrauensverhältnis besteht.
So hilft die Heilsarmee suchtbetroffenen Menschen
Die Begleitung von suchtbetroffenen Menschen gehörte schon in den Gründungsjahren der Heilsarmee 1865 in London zu den Kernanliegen. Die industrielle Revolution führte zu grosser sozialer Not, Alkoholismus, Prostitution und häuslicher Gewalt. Die Heilsarmee hat es sich auf die Fahnen geschrieben, diese Not zu lindern und Menschen von ihrer Sucht zu befreien. Heute setzt die Heilsarmee Schweiz die Schwerpunkte im Bereich Sucht und Suchtprävention bei Erwachsenen und Jugendlichen. In mehreren Institutionen, zum Beispiel im Durchgangsheim Winterthur, werden Suchtkranke betreut und begleitet. Die Jugendabteilung der Heilsarmee bietet jungen Menschen eine Alternative zu bildschirmlastigen Freizeitaktivitäten und nimmt Jugendliche mit in die Natur.