Open Heart Heilsarmee Aufsuchende Arbeit Stadt Zürich
Open Heart Heilsarmee Aufsuchende Arbeit Stadt Zürich

Drei Open Heart Helferinnen mit Taschen voller Verpflegung, unterwegs zu Menschen auf Zürichs Strassen.

Ich wickle meinen dicken Wollschal noch etwas enger und stecke die Hände tief in die Jackentaschen. Wenn ich jetzt schon friere, wie muss es dann den Menschen gehen, die dieser Kälte tagelang ausgesetzt sind? Ich gehe etwas schneller, um bald die wärmenden Räumlichkeiten des Open Hearts zu erreichen.

Das Open Heart – Eifach Mänsch sii

Das Open Heart liegt inmitten der Stadt Zürich, nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof und eine Parallelstrasse von der Langstrasse entfernt. Ganz nach der Devise ‘Eifach Mänsch sii’ sind alle, die den Weg ins Open Heart finden, herzlich willkommen. So ist der Empfang an diesem eisigen Morgen gewohnt warmherzig. Wenn dies auch nicht mein erster Besuch hier ist, ist heute dennoch ein besonderer Tag. Zum einen ist das Team um mich zum ersten Mal im Open Heart, zum anderen ist es für mich der erste Einsatz auf der Strasse – und das bei diesen Temperaturen!

In der Küche des Open Hearts herrscht bereits emsiges Treiben. Einmal in der Woche liefert die Schweizer Tafel Lebensmittel. Daraus werden beispielsweise die Sandwiches zubereitet. Hier achtet das Team speziell darauf, dass sie für Menschen mit wenig oder gar keinen Zähnen geniessbar sind – also keine harte Kruste und weiches Brot. Wenn möglich backt das Team selbst. Dann ist packen angesagt: Sandwiches, Getränke, Süsses, leicht zu wärmende Fertigprodukte sowie wärmende Socken und Hygieneartikel – alles wird in Taschen verstaut und für die Gassenarbeit am Nachmittag bereitgestellt.

Open Heart Zürich Heilsarmee Backen.
Open Heart Zürich Heilsarmee Backen.

Wann immer möglich, backt das Open Heart-Team selbst.

Open Heart Zürich, Heilsarmee – Küchendienst
Open Heart Zürich, Heilsarmee – Küchendienst

Bei der Zubereitung der Sandwiches wird darauf geachtet, dass auch Menschen mit wenig Zähnen sie problemlos geniessen können.

Open Heart Zürich, Küchendienst Sandwiches vorbereiten
Open Heart Zürich, Küchendienst Sandwiches vorbereiten

Die Brote sind bereit – nun kann gepackt werden.

Open Heart, Zürich – aufsuchende Arbeit, Tasche mit Produkten
Open Heart, Zürich – aufsuchende Arbeit, Tasche mit Produkten

Die gut gefüllte Tasche für die Gassenarbeit mit Essen, Hygieneprodukten und warmen Socken.

Open Heart Zürich – aufsuchende Arbeit, Tasche mit Produkten
Open Heart Zürich – aufsuchende Arbeit, Tasche mit Produkten

Die Taschen sind gepackt – los geht's!

«Bei uns dürfen die Menschen sein, wie sie sind. Egal woher sie kommen, welchen Hintergrund sie haben oder in welcher Situation sie sich befinden. Hier können sie sich erholen und wohl fühlen.»

Open Heart_Zürich_Heilsarmee_Pjtsch Kupferschmid_Leiter Open Heart
Pjtsch Kupferschmid Leiter Open Heart

Einen Tipp hat Becky, die Frau von Pjtsch, noch: «Wenn du rausgehst, ist Flexibilität gefragt. Du weisst nie, was dich erwartet. Aber prinzipiell gilt: Die Süchtigen zählen zu den herzlichsten und liebsten Menschen und sind einfach dankbar für alles, was wir ihnen bringen. Es kommt nur selten vor, dass jemand frech oder fordernd ist. Bei ihnen erleben wir immer tiefste Dankbarkeit, auch für das Kleinste, das man ihnen rausbringt.»

Becky und Pjtsch Kupferschmid, Open Heart

«2012 begannen meine Frau Becky und ich die Heilsarmee zu besuchen und merkten schnell, dass sie sehr gut zu unseren Visionen passt. Dann musste ich aus gesundheitlichen Gründen meinen alten Beruf aufgeben. Ich spürte, dass ich für die Heilsarmee arbeiten möchte. So entschied ich mich für die Ausbildung zum Sozialpädagogen HF. Nach meinem Abschluss verbrachten wir ein halbes Jahr in Kanada und Amerika, wo wir bei der Heilsarmee und anderen Institutionen Einblick in verschiedene Bereiche, wie Suchttherapie und Obdachlosenarbeit, erhielten. Anfangs Februar 2020 wurde mir dann die Leitung des Open Hearts angeboten, welche ich ab April mit grosser Freude übernahm. Endlich war ich da, wo ich hinwollte – an einem Ort, wo ich genau die Menschen finde, die mir am Herzen liegen: Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.»

Aufsuchende Gassenarbeit der Heilsarmee in Zürich

Ein Tag als Freiwilliger unterwegs mit dem Open Heart der Heilsarmee in Zürich. Reinschauen und mehr erfahren!

Nach einer kräftigenden und wärmenden Mahlzeit begeben wir uns auf die Strassen von Zürich – der Langstrasse entlang, über den Helvetia-Platz weiter zum Stauffacher. Bereits nach wenigen Minuten treffen wir auf die ersten Bekannten. Mein Team und ich halten uns etwas zurück, um die Betroffenen nicht zu bedrängen. Die Begegnung der Open Heart-Crew mit den Süchtigen ist sehr herzlich – man kennt sich halt!

Unsichtbar und einsam

Während Pjtsch noch im Gespräch ist, spricht mich ein Mann mittleren Alters an. Sein Stand ist unsicher und sein Atem riecht nach Alkohol. Interessiert erkundigt er sich, wer wir sind und was wir hier tun. Auf meine Antwort versichert er mir umgehend, dass er nichts mit dieser Szene zu tun habe, ausser dass er in der Stadt lebe. Eine Reaktion, die das Open Heart bei seiner Strassenarbeit oft erlebt, wie mir das Team später erklärt. Ich biete ihm ein Sandwich an, er lehnt ab. So unterhalte ich mich weiter mit ihm und merke schnell, dass er dies sehr geniesst. Wieder einmal wird deutlich, dass ein Leben mit der Sucht zu Einsamkeit führen kann: Sei es, dass sich Menschen von einem abwenden oder man bemüht ist, in der Öffentlichkeit nicht aufzufallen und sich deshalb zurückzieht. Das Gespräch ist locker und entspannt. Nach einigen Minuten verabschieden wir uns. Die Begegnung hinterlässt bei mir einen bleibenden Eindruck und ein gutes Gefühl. Bemerkenswert, was eine kleine Geste, wie eine kurze Unterhaltung, bei allen Beteiligten bewirken kann.

«Auch das gehört zur aufsuchenden Gassenarbeit: Sich Zeit nehmen und zuhören sind grundlegend, um Vertrauen aufbauen zu können», erklärt Pjtsch und weiter «nur so ist es möglich, mit den Menschen eine Bindung einzugehen und herauszufinden, wie wir eventuell zusätzlich helfen können.»

Open Heart – aufsuchen Arbeit in der Stadt Zürich
Open Heart – aufsuchen Arbeit in der Stadt Zürich

Das Open Heart-Team unterwegs auf den Strassen Zürichs.

Wir setzen unseren Weg fort und treffen weitere dankbare Abnehmerinnen und Abnehmer. Inzwischen haben wir den Stauffacher hinter uns gelassen. Auch wenn die Sonne einige wärmende Strahlen schickt, spüre ich, wie die Kälte langsam in meine Glieder kriecht. Meinen Begleitern geht es ähnlich. Obwohl wir warme Kleidung tragen, kühlen wir dennoch immer mehr aus. Die Vorstellung, bei diesen Temperaturen ständig draussen sein zu müssen, lässt mich zusätzlich erschaudern.

Am Löwenplatz sprechen einige Teammitglieder eine Frau an, der man die Strapazen ihres Lebens ansieht. Ergriffen von der Aufmerksamkeit und den angebotenen Waren beginnt sie zu weinen. Die Situation berührt mich sehr. Da ist ein Mensch, der leidet, und der mit seiner Not allein dasteht, da ihn die Gesellschaft nicht wahrnimmt. Nach einigen Minuten macht sie sich mit vielen Worten der Dankbarkeit und einem leichten Lächeln wieder auf den Weg. Wieder zeigt sich, wie wertvoll die aufsuchende Strassenarbeit ist, und wie wenig es manchmal braucht, um die grösste Not etwas zu lindern.

Open Heart Zürich – Pjtsch Kupferschmid Leiter Open Heart Aufsuchende Arbeit
Open Heart Zürich – Pjtsch Kupferschmid Leiter Open Heart Aufsuchende Arbeit

Manchmal braucht es nicht viel, um die grösste Not etwas zu lindern.

Am Hauptbahnhof treffen wir eine Frau und einen Mann. Er sitzt im Rollstuhl. Sie winkt uns kurz zu, bevor sie in der wartenden S-Bahn verschwindet, um kurz die Toilette zu benutzen. Eine saubere und warme Toilette – ein kleiner Luxus bei einem Leben auf der Strasse. Die beiden sind sehr herzlich und gesprächig. Sprachbarrieren gibt es dank Übersetzungs-App keine. Die angebotenen Lebensmittel und ein Paar warme Wollsocken nehmen sie dankbar an. «Schlafsäcke, warme Kleider, Winterjacken, Socken und gute Schuhe sind immer wieder Thema – oft fehlt das Essenziellste, um bei dieser Kälte draussen zu schlafen und Notschlafstellen sind rar», führt Pjtsch aus.

Gutes tun tut gut

Inzwischen ist es dunkel geworden, die Temperaturen sind weiter gesunken und die zu Beginn unserer Tour gut gefüllten Taschen sind leichter geworden. Wir treffen deutlich weniger Betroffene. Es ist viel zu kalt, um sich noch ungeschützt draussen aufzuhalten. Auch wir frieren und kehren zurück ins Open Heart.

Nach dem Einsatz sitzt das Open Heart-Team noch zusammen bei einem wärmenden Getränk und lässt das Erlebte Revue passieren. «Manche Begegnungen hinterlassen Spuren und sind nicht einfach zu verarbeiten. Mir ist es aber wichtig, dass wir die Ereignisse des Tages im Team nochmals besprechen, sodass wir einen friedlichen Abschluss haben und entspannt nach Hause können», so Pjtsch.

Unser Tag mit dem Open Heart-Team auf den Strassen Zürichs neigt sich dem Ende zu. Müde aber mit einem guten Gefühl machen wir uns ein letztes Mal an diesem Tag durch die Kälte auf den Heimweg. Dieser Tag hat mich sehr beeindruckt. Zum einen haben wir gesehen, wie wenig es teilweise braucht, um den grössten Leidensdruck etwas zu lindern: Ein kurzes Gespräch, eine kleine Geste der Aufmerksamkeit oder einfach ein Lächeln. Zwar ist damit das Problem der betroffenen Menschen nicht gelöst, aber ein paar aufmunternde Worte des Verständnisses, etwas zu Essen oder ein Getränk, zeigen zumindest, dass man wahrgenommen wird. Auf der anderen Seite hat der Tag verdeutlicht, dass auch wenn das Leid und die Not oft nicht gesehen werden, sie dennoch Teil unserer Gesellschaft sind. Meine Sinne sind nun noch mehr geschärft und ich werde intensiver hinschauen und helfen, wenn ich kann.

«Ich wünschte mir, dass die Gesellschaft zumindest versucht, Verständnis für diese Menschen aufzubringen. Denn hinter jeder Person steht ein Schicksal. Irgendetwas ist passiert oder vorgefallen, was die Menschen in diese Situation gebracht hat. Und das ist in den wenigsten Fällen selbst gewählt. Oft sind es Umstände, die einen tragischen Hintergrund haben.»

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Pjtsch Kupferschmid Leiter Open Heart

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Open Heart_Zürich_Heilsarmee_Aussenfassade
Open Heart_Zürich_Heilsarmee_Aussenfassade

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