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«Gelernt habe ich Herrencoiffeur. Da der Verdienst jedoch knapp zum Leben reicht, habe ich mich weiterorientiert. Ich wurde Rayonleiter im Bau-, Hobby- und Gartencenter einer grossen Kette. Auf diesem Beruf arbeitete ich über zehn Jahre. Danach war ich für mehrere Jahre bei einer Versicherung in der Familienvorsorge und als Lebens- und Anlageberater tätig.
Aus privaten Gründen kündigte ich meine Stelle und zog in den Kanton Aargau. Hier habe ich ganz neu begonnen und fand eine Stelle in der Möbelbranche. Nach zwei Jahren wechselte ich den Arbeitgeber und übernahm die Leitung der Küchenabteilung – von der Planung über den Verkauf und die Organisation bis hin zur Abnahme beim Kunden. Eine sehr spannende Aufgabe und eine echte Bereicherung. Ich verdiente gut und konnte mir zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen jemals von Armut betroffen zu sein.»
«Im zehnten Jahr bekamen wir einen neuen Filialleiter und das Mobbing begann. Über viele Jahre mit Millionen-Umsätzen einer der besten Verkäufer, wurde meine Leistung nun nicht mehr anerkannt. Ich sah mich ständig mit Anfeindungen konfrontiert. Mehrere Gesprächsversuche brachten keine Besserung. Ich sprach den Personalleiter auf die Missstände an. Die belastende Situation hatte Einfluss auf meine Arbeit – meine Umsätze waren rückläufig. Ich erklärte, dass ich unter diesen Umständen nicht weiterarbeiten könne, fand aber kein Gehör. So musste ich im Alter von 53 Jahren mit grossem Bedauern meine Traumstelle aufgeben. Ein Jahr nach meinem Weggang, wurde dem Filialleiter gekündigt, da sich gesamte Belegschaft weigerte unter seiner Führung weiter zu arbeiten. Leider zu spät für mich.
Die Kündigung fiel mir nicht leicht. Ich wusste, dass es aufgrund meines Alters schwierig werden würde, wieder eine Arbeitsstelle zu finden. Aber ich fand nochmals eine Stelle. Glücklich war ich jedoch nicht und nach zwei Jahren wurde das Arbeitsverhältnis in gegenseitigem Einverständnis aufgelöst. Durch meine Erfahrungen und die hervorragenden Zeugnisse, glaubte ich an eine weitere Chance auf dem Arbeitsmarkt. Leider wurde ich enttäuscht. Der Bewerbungsprozess war eine Qual. Über 500 Bewerbungen. Unzählige Standardabsagen. Auf telefonische Nachfrage wurde mir öfters bestätigt, dass sie sich jemand jüngeres für diese Stelle vorgestellt haben. Ich resignierte und habe die Absagen einfach hingenommen. Nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit wurde ich ausgesteuert.»
Ohne Sozialleistungen hatte ich auch kein Anrecht auf Unterstützung bei der beruflichen Wiedereingliederung. Dann war mein Erspartes aufgebraucht. Ich meldete mich auf dem Sozialamt. Keine schöne Situation, wenn dein Hab und Gut geprüft wird und dir gesagt wird, dass liebe Erinnerungen aufgrund ihres Wertes verkauft werden sollen. Wieder ereilte mich das Gefühl, keinen Wert als Mensch mehr zu haben. Da ich inzwischen über 60 war, hatte ich auch kein Anrecht mehr auf berufliche Reintegrations-Massnahmen. Um die Leistungen zu erhalten, musste ich mich aber weiter bewerben. Ich fühlte mich im Stich gelassen, kam der Auflage aber nach. Jedoch ohne Hoffnung auf Erfolg.
Mein sehnlichster Wunsch ist es, wieder einer erfüllenden Arbeit nach zu gehen.
Ich will die Heilsarmee unterstützen
Menschen, die in Armut leben finden bei uns Geborgenheit, existenzielle Unterstützung und die Perspektive für eine bessere Zukunft. Mit unseren Angeboten versuchen wir zudem, Notleidende vor der Armut zu bewahren.
Judith Nünlist
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