Raphael Golta empfängt uns an einem sonnigen, spätsommerlichen Tag in seinem Büro in der Werd, Zürich. Er wirkt locker und umgänglich. Für die Aufzeichnungen braucht er nur einen Anlauf und schon ist unser Gespräch „in der Kiste.“

Das Gespräch ist auch als Podcast (unten) verfügbar.

Arbeitslosigkeit in der Schweiz

Welches sind die grössten Probleme von Arbeitslosen in der Schweiz? Mit welchen Gefahren müssen Arbeitslose umgehen?

Wenn jemand seine Arbeit verliert, entfällt im ersten Moment ein wichtiger Inhalt, oder die bisherige Lebensaufgabe. Dies ist für viele Menschen schwierig zu verkraften, da damit auch ein Ziel verloren geht. Es führt zu Verunsicherung und bei Leuten mit bisher niedrigem Einkommen auch schnell einmal zu existenziellen Ängsten. Es ist auch immer eine Frage der Perspektive: Was ist in zwei, drei Jahren mit mir? Wann finde ich wieder einen Job? Es kommen viele Risiken und Probleme auf solche Menschen zu.

Wo sehen Sie den freien Arbeitsmarkt versagen?

Generell kann man sagen, dass der Zürcher und generell auch der Schweizer Arbeitsmarkt in normalen wirtschaftlichen Zeiten sehr aufnahmefähig ist. Rein von den Zahlen her stehen wir in unserem Land recht gut da. Klar ist aber, wir haben in der Schweiz Angestellte in prekären Verhältnissen mit tiefen Löhnen, Personen, die zwischen Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit hängen, für die unser Arbeitsmarkt zu wenig gut funktioniert.

Die Frage ist, ob wir nicht Menschen mit niedrigen Löhnen unterstützen sollte, indem man Mindestlöhne aushandelt. Wir haben auch das Problem der fehlenden Versicherungsleistungen, die für Zugewanderte nicht zugänglich sind. Es wäre gut, wenn diese nicht bei Tag eins nach Verlust ihrer Arbeit sozialhilfeabhängig werden.

 

Welche Entwicklungen stellen Sie in Bezug auf Corona fest?

Einerseits stellten wir fest, dass es Menschen gibt, die bereits am ersten Tag des Lockdowns auf staatliche finanzielle Unterstützung angewiesen waren, weil Sie keinen Erwerb mehr hatten und die Versicherungsleistungen fehlten. Die Herausforderung ist nun, dass wir nicht wissen, wie sich die Wirtschaft weiterentwickeln wird. Es dürfte länger dauern, bis sich die Wirtschaft wieder erholt. Das wird besonders die Menschen treffen, die zuvor in prekären Arbeitsverhältnissen waren. Wir befürchten, dass die bisherigen Herausforderungen des Arbeitsmarktes für gering qualifizierte Arbeitskräften mit wenig Bildung „im Rucksack“ längerfristig noch zunehmen werden.

Working Poor

Welches sind die grössten Probleme und Begleiterscheinungen der „Working Poor“?

Einerseits ist es eine Frage des Lohnniveaus, das diese Menschen haben. Es sind Menschen, die zu einem sehr tiefen Lohn angestellt sind. Andererseits ist es die fehlende Sicherheit. Gerade bei Personen, die stundenweise oder auf Abruf eingesetzt werden, z. B. im Haushalt oder Gastgewerbe, schwankt der Beschäftigungsgrad extrem. Vom einen auf den anderen Tag fehlt Einkommen, was zu Stress und Unsicherheit führt. Unser erstes Ziel muss es sein, möglichst viele Menschen in einen geregelten Erwerb zu bringen, mit allem was dort dazugehört – mit einem sicheren Lohn, aber auch einer minimalen Sicherung, wenn der Lohn wegfällt.

… und in der Corona-Zeit ist wohl genau das Gegenteil passiert?

Ja, wir haben festgestellt, dass es mit dem Lockdown sehr schnell Leute gab, die zum Beispiel nicht mehr in Haushalte putzen gehen konnten. Dass es Angestellte gibt, die die ersten sind, die von den Unternehmen nicht mehr eingesetzt worden sind. Da prasselt dann einiges auf diese Menschen ein: fehlendes Geld, fehlende Sicherheit, fehlende Perspektiven. Das sind die ersten und die am stärksten Betroffenen einer Krise wie dieser.

Die Heilsarmee und Armut

Wie kennen und erleben Sie die Heilsarmee?

Die Heilsarmee ist sicher eine der Institutionen, die sehr sichtbar ist in Zürich, die sehr viel macht im Bereich des sozialen Engagements. Wir haben zum Glück sehr viele Institutionen, die mit uns am gleichen Strick ziehen, um gerade auch Menschen zu unterstützen, die es nicht so gut haben. Ich denke für uns ist es wichtig, dass wir in Zürich Hilfswerke haben, die Menschen erreichen können, die Vorbehalte gegenüber staatlicher Unterstützung haben.

Haben Sie einen Wunsch an die Heilsarmee? Was könnte sie besser machen?

Ich habe keinen direkten Wunsch an die Institutionen, die uns unterstützen und in der Stadt Zürich für ein soziales Umfeld sorgen. Wichtig ist, dass wir auch in Zukunft gut zusammenarbeiten und verschiedenste Organisationen versuchen, die Lehren aus dieser Krise zu ziehen. Wo gibt es noch Lücken in userer sozialen Sicherung? Dann sind wir auch für die nächste Krise besser gewappnet. Ich bin sehr dankbar, dass wir nicht alleine waren in diesen letzten Monaten. Dass wir auch in der Zivilgesellschaft und den gemeinnützigen Organisationen auf Unterstützung zählen konnten. Gerade in den ersten Wochen war dies enorm wichtig, da wir alle extrem gefordert waren.

Wie erklären Sie sich, dass es in einem so reichen Land wie der Schweiz Armut existiert?

In der Schweiz haben wir grundsätzlich ein sehr gut ausgebautes Sozialsicherungssystem. Das (politisch gewollte) Problem ist aber, dass es grössere Lücken, gerade in der Versicherung von prekär Beschäftigten und Selbständigen hat. Wir haben Sozialleistungen, die Menschen ohne Schweizer Pass nicht in der gleichen Form zugänglich sind. Wir haben Menschen unter uns, die viele Jahre in der Schweiz gearbeitet haben, die Angst davor haben, irgendwann von der Sozialhilfe abhängig zu werden. Die dadurch ihre Aufenthaltsbewilligung verlieren würden. Wir haben einen Teil der Bevölkerung, die an diesem Wohlstand mitgearbeitet hat, z. B. die Sans-Papier, die aber keinerlei soziale Absicherung haben. Das sind genau jene Menschen, die jetzt stark von der Krise betroffen sind.

Wir müssen nun alle gemeinsam bereit sein, diese Lücken zu schliessen, denn wir haben die Mittel dazu.

Vielen Dank, Herr Golta!

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