René Thoma ist Geschäftsleiter der Wohnbau-Genossenschaft Nordwest und Präsident einer Wohngenossenschaft in Basel. Seit dem Start von Housing First vermietet er auch Wohnungen an teilnehmende Personen des Pilotprojekts. Dass das Konzept von Housing First funktioniert, davon ist René Thoma überzeugt: «Ich habe genügend Beispiele, die ich selber begleitet habe. Der Ansatz von Housing First wird zudem von der Gesellschaft unterstützt. Ich bin überzeugt, dass das ein guter Ansatz ist und eigentlich auch der richtige, für die Leute, die das wirklich wollen.»
Was es nebst dem Willen der obdachlosen Menschen natürlich auch braucht, sind geeignete und bezahlbare Wohnungen. Diese sind in der Schweiz jedoch Mangelware.
Housing First und bezahlbarer Wohnraum
In der Schweiz sind ganz generell zu wenige Angebote an günstigen Wohnungen vorhanden, gerade in grösseren Städten wie Basel. Aus diesem Grund hat das Stimmvolk des Kantons Basel-Stadt im Jahr 2018 vier Wohninitiativen angenommen, die dazu beitragen sollen, grundsätzlich mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Auch die Wohnbau-Genossenschaft Nordwest verfügt nicht annähernd über genügend Möglichkeiten, um den Bedarf an Wohnungen im unteren Preissegment zu decken. Deshalb steht René Thoma als Vermieter auch oft vor einem Dilemma, da jeweils eine sehr grosse Anzahl Menschen auf eine frei werdende günstige Wohnung warten. «Da muss man immer abwägen: Berücksichtige ich jetzt einen Obdachlosen, der es sicher nötig hat, oder eine alleinstehende Mutter mit einem Kind, die auch nicht mehr bezahlen kann?»
«Man muss einfach viel mehr Leute ins Boot kriegen, die ein gewisses Verantwortungsgefühl haben für die Gesellschaft und nicht nur die Rendite suchen.»
Gefragt: Soziale Verantwortung
Um das Problem der Obdach- und Wohnungslosigkeit zu bekämpfen, braucht es aber mehr als nur geeignete Wohnungen und den Willen der Betroffenen. Benötigt werden auch Vermieterinnen und Vermieter, die eine soziale Verantwortung wahrnehmen. René Thoma meint dazu: «Man muss einfach viel mehr Leute ins Boot kriegen, die ein gewisses Verantwortungsgefühl haben für die Gesellschaft und nicht nur die Rendite suchen.» Als Mitglied im Genossenschaftsverband macht er deshalb die Genossenschaftspräsidenten immer wieder darauf aufmerksam, dass da ein Bedarf besteht.
Housing First: Vermieter brauchen Mut
Die Vermieterschaft geht natürlich ein gewisses Risiko ein, wenn sie mit einem Projekt wie Housing First zusammenarbeitet. Gerade die ersten paar Monate stellen erfahrungsgemäss für alle Beteiligten eine Herausforderung dar: Für die Personen, die nach langjähriger Obdachlosigkeit zum ersten Mal wieder in einer eigenen Wohnung leben ebenso wie für die Nachbarschaft in den betreffenden Liegenschaften. Die bisherigen Erfahrungen zeigen aber, dass die Integration in den meisten Fällen gut gelingt.
Gefragt: Persönliches Engagement
René Thoma setzt sich schon seit längerer Zeit für Menschen ein, die auf dem freien Wohnungsmarkt kaum eine Chance haben: «Ich habe eine Geschichte gelesen im Strassenmagazin Surprise. Aufgrund dieses Berichts habe ich bei Surprise angerufen und gesagt, man könnte für die zwei Betroffenen etwas machen. Das war im Juni 2018. Vierzehn Tage später hatten sie eine Wohnung.» Vieles hängt also auch von der persönlichen Initiative der verantwortlichen Personen in den Immobilienverwaltungen ab, ob ein solches Mietverhältnis zustande kommt.
Gefragt: Toleranz
Die bisherige Bilanz von René Thoma in der Zusammenarbeit mit Housing First ist positiv – auch wenn der Start bei einzelnen Mietverhältnissen holprig verlief. In einem Fall gab es einen Zeitpunkt, wo er als Vermieter zum Schluss kam, dass das Mietverhältnis aufgelöst werden muss. Interessanterweise haben sich dann aber die anderen Mieterinnen und Mieter für diese Frau eingesetzt und gesagt: Nein, das wollen wir nicht. Wir wollen das wirklich durchziehen. Das war auch für René Thoma spannend zu sehen, wie das soziale Engagement aus der Mieterschaft heraus gekommen ist.
Aber er sagt auch klar: «Es muss wirklich eine Mieterschaft sein, die sagt, Jawohl, das unterstützen wir.» Die Nachbarschaft, das Umfeld muss ein solches Mietverhältnis mittragen und auch eine gewisse Toleranz zeigen. Vor allem in den ersten Monaten, bis sich die Teilnehmenden von Housing First wieder an das Leben in einer eigenen Wohnung gewöhnt haben. In dieser Zeit ist die Begleitung und Unterstützung durch das Projekt Housing First besonders wichtig.
Inzwischen hat René Thoma an vielen Beispielen erlebt, wie sich Menschen stabilisieren konnten, indem sie nach langer Obdachlosigkeit wieder ein Zuhause bekommen haben. Genau das ist das Ziel von Housing First: Dass Menschen wieder gesund werden und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
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Irene Gerber
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