Kai DH Winterthur – Wohnbereich
Kai DH Winterthur – Wohnbereich

Kai hat sein Lachen wiedergefunden. Der Weg dahin war nicht leicht.

«Zuhause war ich immer der Sündenbock. Was auch geschah, ich wurde dafür verantwortlich gemacht und bestraft. Verbale Erniedrigungen und Schläge von meinem Stiefvater gehörten zu meinem Alltag.

Flucht in die Sucht

Meine Mutter kümmerte sich kaum um uns Kinder. So habe ich im Alter von sechs Jahren begonnen, meine beiden jüngeren Halbschwestern grosszuziehen. Ich habe Windeln gewechselt, gekocht und später Hausaufgaben mit ihnen gemacht. Oft gingen meine Mutter und mein Stiefvater aus und liessen uns allein zuhause. Etwas zu kochen, war nicht einfach, da der Kühl- und der Vorratsschrank mit Schlössern verriegelt waren.

Ich litt sehr unter der Situation. Einen sicheren Ort, an den ich hätte fliehen können, gab es nicht. In meiner Verzweiflung unternahm ich mit zwölf Jahren den ersten von vier Versuchen, mein Leben zu beenden. Doch ich überlebte. Um meinen Sorgen kurzfristig zu entfliehen, begann ich Alkohol und Drogen zu konsumieren.

Wendepunkt

Schulisch war ich schwach, dafür handwerklich sehr begabt. So entschied ich mich für eine zweijährige EBA-Lehre als Baupraktiker. Bei der Abschlussprüfung war ich betrunken, bestand aber mit einer guten Durchschnittsnote.

Die Qualen zuhause blieben jedoch. Die Last war unerträglich. Mit 18 unternahm ich daher einen letzten Selbstmordversuch.

Kai – allein gelassen und ungeliebt. DH Winterthur
Kai – allein gelassen und ungeliebt. DH Winterthur

«Ich fühlte mich oft ungeliebt.»

Kai

Als ich im Krankenhaus erwachte, schloss ich daraus, dass ich auf dieser Erde noch eine Aufgabe zu erfüllen habe. Sterben sollte noch nicht sein. Da ich meine Arbeit liebte, entschloss ich mich, den Abschluss als Maurer EFZ auch noch zu machen. Von heute auf morgen, hörte ich auf Alkohol und Drogen zu konsumieren und zog zu meinem Vater nach Winterthur.

Kurz vor dem Abschluss traf mich ein weiterer harter Schlag. Ich erlitt einen schweren Arbeitsunfall: Durch die Nachlässigkeit des Kranführers fiel ein Backsteinmauerwerk aus dem vierten Stock auf mich herunter. Es folgten zwei Jahre in der Reha. Den Maurerberuf musste ich aufgeben.

Ruhelose Zeiten

Während meiner Reha-Zeit lernte mein Vater eine neue Frau kennen und innerhalb eines Jahres heirateten sie. Knapp ein Jahr danach, eröffnete er mir eines Abends überraschend, dass ich umgehend ausziehen müsse, da sie anderentags ins Heimatland seiner Frau ziehen werden. Dass ich unvermittelt mein Zuhause verlor, und was das für mich bedeutete, interessierte ihn nicht.

Obdachlosigkeit

Über Nacht wurde ich obdachlos. Das nächste halbe Jahr lebte ich auf der Strasse. Keine schöne Zeit. Es war Winter und eiskalt. Wieder suchte ich Zuflucht im Alkohol und den Drogen. Die Tage verbrachte ich hauptsächlich im Stadtpark. Um zu überleben, bettelte ich. Am schlimmsten waren die Gestik, Mimik und die abwertende Haltung der Menschen, die an einem vorbeigingen. Das war sehr enttäuschend und hat mich geprägt. Nachts blieb ich, solange ich konnte, im Bahnhofsgebäude und schlief unter Brücken oder unter einem Vordach im bahnhofsnahen Industriegebiet.

Der Weg zur Heilsarmee

Hilfe kam von unerwarteter Seite. Meine Mutter suchte und fand mich schliesslich. Sie ‹schleppte› mich zur Wohnhilfe der Stadt Winterthur. Dort verwiesen sie mich an das Wohnheim der Heilsarmee. Ich durfte einziehen. Nach einiger Zeit lernte ich meine Freundin kennen und zog zu ihr. Während der folgenden vier Jahre arbeitete ich als Landschaftsgärtner. Mein Chef und ich kamen nicht miteinander klar, weshalb ich die Stelle aufgab.

Kai und Tia
Kai und Tia

Tía und Kai – ein unzertrennliches Team.

Ein neues Zuhause

Das war vor nun gut vier Jahren. Inzwischen haben Tía und ich im «Wohnen Plus» ein neues Zuhause gefunden. Alkohol und Drogen gehören der Vergangenheit an.

Ich habe eine feste Tagesstruktur und bin daran meine Vergangenheit aufzuarbeiten. Das ist nicht einfach, aber dank der Tanz- und Bewegungstherapie bei Marina, fällt es mir leichter, mich zu öffnen, mich meinen Traumata zu stellen, um sie hinter mir zu lassen.

  • Tanz- und Bewegungstherapie Die Tanz- und Bewegungstherapie ist eine körper- und ausdrucksorientierte Therapieform, die mit der nötigen Sensibilität auch bei der Aufarbeitung von Traumaerfahrungen angewendet werden kann.
Kai DH Winterthur Boxen
Kai DH Winterthur Boxen

Dank der Tanz- und Bewegungstherapie und der im Anker individuell erweiterten Form, wie z.B. Therapeutisches Boxen hat Kai grosse Fortschritte bei der Aufarbeitung seiner Vergangenheit gemacht.

Anteilnahme

Halte kurz inne und überlege dir: Wie kannst du mehr Interesse zeigen an den Schwierigkeiten im Leben deiner Nachbarn und Mitmenschen?

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