In der Schweiz fehlt Wohnraum – besonders in den Städten. Dieser Mangel trifft vor allem Menschen am Rand der Gesellschaft. Die Heilsarmee steht ihnen zur Seite: mit Notunterkünften, Beratung und Engagement für sozialen Wohnraum.
Wer in Zürich oder Genf eine Wohnung sucht, erlebt es hautnah: Wohnungsnot ist mehr als ein Schlagwort. Sie bedeutet ständige Absagen, überfüllte Besichtigungen, steigende Mieten und oft auch Hoffnungslosigkeit. Denn freie Wohnungen sind in vielen Ballungszentren nicht nur selten, sondern oft auch atemberaubend teuer.
Doch Wohnungsnot lässt sich nicht nur fühlen, sondern auch messen. Das Bundesamt für Wohnungswesen spricht von Wohnungsnot, wenn weniger als 1 Prozent aller Wohnungen leer stehen. Liegt die Leerstandsquote zwischen 1 und 1,5 Prozent, gilt das als Wohnungsknappheit – also ein deutlich spürbarer Mangel, besonders im unteren Preissegment. (1)
Wohnungsnot
Leerstandsquote <1%
Wohnungsknappheit
Leerstandsquote 1 - 1,5%
Knappheit oder Not? Ein Blick auf die Zahlen
Die Statistik (3) spricht eine deutliche Sprache: In vielen Teilen der Schweiz steht der Wohnungsmarkt unter massivem Druck. Die landesweite Leerstandsquote lag zuletzt bei 1,08 Prozent und damit haarscharf an der Grenze zur Wohnungsnot.
Schweizer Städte mit Wohnungsnot
Zürich: 0,07%
Winterthur: 0,14%
Bern: 0,43%
Genf: 0.54%
Basel: 0.77%
Chur: 0.91%
Damit herrscht auf nationaler Ebene Wohnungsknappheit. Im internationalen Vergleich gehört die Schweiz zu den Ländern mit geringstem Leerstand: In kaum einem anderen OECD-Land ist der Anteil freier Wohnungen so niedrig. (2) Zwar verzeichnen einige ländliche Gemeinden noch Leerstände von über 3 Prozent, doch in den Städten – und zunehmend auch in touristischen Regionen wie Graubünden – ist bezahlbarer Wohnraum eine Seltenheit geworden. (3)
Am gravierendsten ist die Lage in Zürich. Die Stadt gilt längst als Hauptstadt der Wohnungsnot. Im Juni 2024 lag die Leerstandsquote bei nur 0,07 Prozent – ein europaweit einmalig tiefer Wert. Und das trotz reger Bautätigkeit. Auch kantonal betrachtet herrscht seit Jahrzehnten Wohnungsnot: Seit 1998 wurde die 1-Prozent-Marke nicht mehr überschritten. Im Jahr 2024 lag die kantonale Leerstandsquote bei 0,56 Prozent. (4)
Schweizer Städte mit Wohnungsnot
Zürich: 0,07%
Winterthur: 0,14%
Bern: 0,43%
Genf: 0.54%
Basel: 0.77%
Chur: 0.91%
Auch in Genf ist die Lage angespannt: Nur 0,47 Prozent der Wohnungen waren zuletzt verfügbar. Im Gegensatz zu Zürich fehlen hier jedoch entlastende Umlandgemeinden. Der Wohnungsmarkt rund um Genf ist nahezu flächendeckend ausgetrocknet – mit spürbaren sozialen Folgen: Genf ist heute die Schweizer Stadt mit den meisten obdachlosen Menschen. (5)
Wie ist die Leerstandsquote in Ihrer Gemeinde? (3)
Warum Wohnraum knapp ist
Die Schweiz wächst und der Wohnungsbau kommt nicht hinterher. Menschen leben immer länger, die Haushalte werden kleiner, die Ansprüche an Wohnfläche grösser, jedes Jahr ziehen zehntausende Menschen zu. Das Missverhältnis zwischen Bedarf und Angebot spitzt sich weiter zu – besonders in den Städten.
Zunehmende Individualisierung
Die Haushalte werden kleiner. Laut dem Bundesamt für Wohnungswesen BWO leben heute durchschnittlich nur noch 2,2 Personen in einem Haushalt, Tendenz sinkend. Immer mehr Menschen leben allein, hinzu kommen viele Einelternfamilien. Die Konsequenz: Auch bei gleichbleibender Bevölkerungszahl würde die Nachfrage nach Wohnungen steigen. Denn nicht nur mehr Menschen, sondern auch mehr Haushalte benötigen Wohnraum. Hinzu kommt der wachsende Wohnflächenverbrauch: In den 1980er-Jahren begnügte sich eine Person im Schnitt mit etwa 30 m², heute sind es 46 m². Damit entstehen auf derselben Fläche deutlich weniger Wohneinheiten als früher.
Die Bevölkerung wächst schneller als der Wohnungsbestand
2024 verzeichnete die Schweiz eine Nettozuwanderung von rund 83’000 Personen. Auch in den zehn Jahren zuvor wuchs die Bevölkerung durchschnittlich um 0,9 % pro Jahr. Heute leben rund 9 Millionen Menschen in der Schweiz. (3) Doch mit dem Wachstum Schritt zu halten, gelingt nicht. Im Gegenteil: Die Neubautätigkeit hat in den letzten Jahren sogar abgenommen. Zwar wurden in Städten wie Zürich viele Wohnungen gebaut – zwischen 2010 und 2022 etwa +12 %. Aber auch das reicht nicht aus, um den Bevölkerungszuwachs von 15 % in der gleichen Zeit aufzufangen. (6) Und eine Entspannung ist nicht in Sicht: Für 2025 erwartet der Schweizerische Baumeisterverband lediglich 42’000 neue Wohnungen, gebraucht würden 50’000. Die logische Folge: Die Leerstandsquote wird weiter sinken, und mit ihr die Chance auf bezahlbaren Wohnraum. (7)
Wohnraumverdichtung
Zwischen 2015 und 2021 ist die durchschnittliche Fläche von 3- bis 4-Zimmer-Wohnungen um einen Quadratmeter gestiegen. Klingt nach wenig – hat aber grosse Auswirkungen: Ohne diesen Zuwachs hätten in der Schweiz rund 40'000 zusätzliche Wohnungen auf der gleichen Nutzungsfläche entstehen können. (6)
Wohnfläche pro Person
1980er-Jahre: 30 m²
2025: 46 m²
Quelle: Bundesamt für Wohnungswesen (1)
Die vier Haupttreiber der Wohnungsnot
Zu geringe Bautätigkeit
Immer mehr Wohnfläche pro Person
Bevölkerungszuwachs
Immer weniger Personen pro Haushalt
Die Folgen von Wohnungsnot – Verteuerung & Verdrängung
Die Mieten steigen – und mit ihnen der Druck auf Menschen mit kleinem Budget. Verdichtung soll eigentlich helfen, in Städten mehr Wohnraum zu schaffen. Doch sie führt in der Praxis oft dazu, dass die Menschen, die bezahlbaren Wohnraum am dringendsten brauchen, keinen Platz mehr finden.
Ein Dutzend Paar Schuhe, ein Ziel: dieselbe Wohnung. Bei Wohnungsbesichtigungen ist die Konkurrenz gross.
Die einfache Formel gilt auch für den Wohnungsmarkt: Hohe Nachfrage + wenig Angebot = hohe Preise. Die sogenannten Angebotsmieten – also die Mieten für aktuell ausgeschriebene Wohnungen – sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Besonders in den Städten ist die Lage angespannt, mit grossen regionalen Unterschieden. Die Lösung scheint klar: mehr bauen. Und zwar nicht auf der grünen Wiese, sondern dort, wo schon gebaut wurde: durch Verdichtung, also mehr Wohnungen auf bestehenden Flächen. So lässt sich der Bodenverbrauch bremsen und die Natur schützen.
«Wohnen ist kein Luxus, sondern Grundlage für ein würdevolles Leben. Als Heilsarmee spüren wir die Wohnkrise oft zuerst – dort, wo Menschen keinen Platz mehr finden. Hohe Mieten, prekäre Jobs oder Krisen drängen immer mehr Menschen aus dem Wohnmarkt. Wir handeln – konkret und menschlich.»
Manuel Breiter,
Regionalleiter Sozialwerke Mitte und Fachperson “Wohnen” der Heilsarmee
Doch genau hier beginnt das Problem. Eine Studie der ETH Zürich zeigt: Viele günstige Wohnungen befinden sich in älteren Gebäuden, oft aus der Nachkriegszeit. Wenn diese Häuser totalsaniert oder ersetzt werden, steigen die Mieten drastisch. In Zürich wurden zwischen 2010 und 2020 2’132 Gebäude renoviert – doch nur 6,1 % der ursprünglichen Mietenden konnten nach der Sanierung bleiben.
Die neuen Mietenden hatten im Schnitt 3’623 Franken mehr Haushalts- und 2’138 Franken mehr persönliches Einkommen als ihre Vormieterschaft. Was entsteht, ist keine soziale Durchmischung, sondern eine stille Verdrängung nach Einkommen. (8)
Wer wenig hat, verliert zuerst
Zahl der Verdrängten (2015 - 2020)
Zürich: 14’373
Basel: 3’622
Bern: 1’833
Lausanne: 979
Genf: 467
Zwischen 2015 und 2020 wurden allein in Zürich und Umgebung über 14’373 Menschen aus ihren Wohnungen verdrängt, meist durch Ersatzneubauten oder Totalsanierungen. In Basel waren es 3’622, in Bern 1’833, in Lausanne 979, in Genf 467. (9)
Nicht alle trifft es gleich: Am stärksten betroffen sind Menschen mit geringem Einkommen – also genau jene, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind und am wenigsten Auswahl haben. Die Studie der ETH Zürich zeigt: Besonders häufig verdrängt werden Haushalte mit afrikanischer Herkunft, Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Alleinerziehende, vor allem Frauen. (8)
Zahl der Verdrängten (2015 - 2020)
Zürich: 14’373
Basel: 3’622
Bern: 1’833
Lausanne: 979
Genf: 467
Unsere Vision – ein Zuhause für alle!
Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf. Es bedeutet Sicherheit, Würde und die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Doch viele Menschen stehen vor grossen Hürden auf dem Weg dorthin. Die Heilsarmee begleitet sie – mit Beratung, unterschiedlichen Wohnangeboten und Unterstützung, die sich an den jeweiligen Möglichkeiten und Lebenssituationen orientiert.
Unser Angebot zur Überbrückung von Wohnungslosigkeit
Nicht alle, die wohnungslos sind, schlafen auf der Strasse. Die europäische ETHOS-Typologie unterscheidet (10) vier Formen von Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot. Wichtig: Wohnungslosigkeit bedeutet nicht automatisch Obdachlosigkeit. Viele Betroffene sind nicht sichtbar – besonders Familien, ältere Menschen oder Geflüchtete.
Obdachlos
Menschen ohne Obdach, die im öffentlichen Raum leben und schlafen.
Wohnungslos
Menschen, die auf Zeit in sozialen Einrichtungen leben.
Ungesichertes Wohnen
Illegales Wohnen, vorübergehende Zuflucht bei Dritten oder eine drohende Zwangsräumung.
Ungenügendes Wohnen
Wohnen in ungeeigneten Unterkünften, wie bspw. Autos, Garagen, Kellern, Zelten, etc.
«Wohnraum ist sehr knapp – wer wenig hat, fällt oft zuerst durch die Maschen.»
Karin Wüthrich
Standortleiterin WohnBegleitung Bern
«Solange es Frauen und Männer gibt, die auf der Strasse leben, werden wir kämpfen.»
Alain Meuwly
Standortleiter Notschlafstelle Le Passage und Bel'Espérance, Frauen Notschlafstelle, Genf
«Notwohnen ist oft der letzte Halt – und darf nicht zur Endstation werden.»
Priska Odermatt-Steiger
Standortleiterin Notwohnen Haus Göbli, Zug
Sind Sie auf Wohnungssuche?
«Finding Home» – die Plattform für Wohnungssuchende
Auf unserer Plattform «Finding Home» finden Wohnungssuchende praktische Unterstützung rund um die Wohnungssuche. Dort stellen wir Tipps, Checklisten, Vorlagen und Wissen zur Verfügung – zum Anschauen, Nachlesen und Stöbern. Klar, kompakt und konkret.
Von Wohnungsnot spricht man, wenn die Leerstandsquote unter 1 Prozent liegt. Bei Leerstandsquoten zwischen 1 und 1,5 Prozent spricht man von Wohnungsknappheit.
Was bedeutet "Leerkündigung"?
Eine Leerkündigung liegt vor, wenn Mietverhältnisse gekündigt werden, um Wohnungen zu sanieren, umzubauen oder für einen Neubau abzureissen – oft mit dem Ziel, sie danach teurer weiterzuvermieten. Die bisherige Mieterschaft verliert dabei nicht selten ihre Wohnung, da sie sich die neue Miete nicht mehr leisten kann.
Was bedeutet "Gentrifizierung"?
Gentrifizierung herrscht, wenn durch Sanierungen und Neubauten wohlhabendere Menschen zuziehen und einkommensschwächere Menschen verdrängt werden. Ganze Quartiere oder Städte verändern dadurch ihren Charakter.
Gibt es in der Schweiz ein "Recht auf Wohnen"?
Ein einklagbares Recht auf Wohnen besteht in der Schweiz auf Bundesebene nicht. Die Bundesverfassung (11) (Art. 41) hält aber fest, dass sich Bund und Kantone gemeinsam dafür einsetzen sollen, dass alle Menschen eine angemessene Unterkunft finden können – insbesondere Personen in bescheidenen Verhältnissen. In einigen Kantonen wie Genf oder Neuenburg ist das Recht auf Wohnen ausdrücklich in der Kantonsverfassung verankert.
Welche Faktoren treiben die Wohnungsnot an?
Die wichtigsten Treiber sind das Bevölkerungswachstum, kleinere Haushalte und steigender Wohnflächenverbrauch. Sie führen zu mehr Nachfrage. Gleichzeitig wird zu wenig – und oft zu teuer – gebaut.
Stoppen Sie die Abwärtsspirale von Menschen in Not
Dittmann, Jörg / Dietrich, Simone / Stroezel, Holger/ Drilling, Matthias / Young, Christopher / Roduit, Sabrina (2022), „Ausmass, Profil und Erklärungen der Obdachlosigkeit in 8 der grössten Städte der Schweiz.“ In: LIVES Working papers. http://dx.doi.org/10.12682/lives.2296-1658.2022.93
Kaufmann, David, Elena Lutz, Fiona Kauer, Malte Wehr, und Michael Wicki (2023), „Erkenntnisse zum aktuellen Wohnungsnotstand: Bautätigkeit, Verdrängung und Akzeptanz.“ Bericht ETH Zürich. DOI: 10.3929/ethz-b-000603229 https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/603229