Was hat der Lockdown mit den Hausbewohnern gemacht?

Wege aus der Einsamkeit

Das gemeinsame Theologiestudium mit ihrem Mann in Indien hat ihr gezeigt, wie sehr Community-bildende Aspekte und Rituale hierzulande zu kurz kommen: Soziale Zusammengehörigkeit heisst auch, mehr zu teilen, als nur den Gartenzaun. In Riehen leben sie und ihr Mann mit elf weiteren Personen in einer überkonfessionellen Gemeinschaft, die einen heilsamen Lebensraum schafft.

Vor 100 Jahren hiess es "Haus christlicher Barmherzigkeit": Das Moosrain, gebaut von den Riehener Diakonissen.

Wie muss man sich das Leben in so einer Hausgemeinschaft oder Wohngemeinschaft vorstellen? Es sind ja unterschiedliche Häuser, nehmen wir aber mal das Moosrain hier, wo auch Leute wohnen, die vorher in prekären Lebenssituationen lebten. Wie ist das hier organisiert?

Wir haben zuerst das Haus viergeteilt. 40 Menschen in einem Haus ohne einzelne Teile, das war uns zu gross. Jedoch zum Feiern des Gottesdienstes kommen wir hier wieder zusammen. In unserer Gruppe sind wir so organisiert, das wir unter dem Amt für Behindertenhilfe agieren können. Wir haben gewisse Angebote, die Menschen aus ihrer prekären Situation begleiten. Das heisst, wir haben vier gemeinsame Malzeiten pro Woche. Wir haben alle zwei Wochen einen Gemeinschaftsabend für den Austausch, fürs Gebet und nachfragen, wie es so geht. Ein Mensch mit Wohnbegleitung bei uns kann auch Seelsorgegespräche in Anspruch nehmen. So wollen wir diesen Menschen eine Stütze sein, auch in praktischen Lebenssituationen. Wir helfen bei Konfliktlösung.

Aber es gibt keine Hierarchie angeführt von euch Leitenden, die mehr zu sagen haben? Wie stellt ihr Regeln auf und wie lauten diese?

Die Regeln in den Hausgemeinschaften und WG’s sind überall ein wenig anders. Die Grundregeln im Moosrain wurden von uns, dem Trägerverein „offene Tür“ gemacht. Darin legen wir fest, wie wir im Konfliktfall miteinander umgehen. Es ist ein Gemeinschaftshaus, daher ist das Interesse an gemeinschaftlichem Wohnen Voraussetzung, hier aufgenommen zu werden. Die Regeln in den Wohngemeinschaften kommen durch gegenseitiges Herausfinden zustande. Bei uns im Moosrain kommen die Regeln auch vom verpflichtenden Konzept vom Amt für Behindertenhilfe, dem wir unterstehen.

Apropos Regeln: Mit der Corona-Pandemie wurden euch sicher auch Auflagen gemacht. Haben die Massnahmen auch die Einsamkeit in den Wohngemeinschaften verstärkt?

Zur Person: Irene Widmer-Huber

Handelsdiplom, später Ausbildung in der Schule für Diakonie und Gemeindearbeit in Zürich mit Fokus auf Sozialarbeit und Diakonie. Ab 1991 Diakonin in Strengelbach, in der reformierten Landeskirche. Das Ehepaar Widmer-Huber wohnt ab jetzt nur noch in Hausgemeinschaften. Von Strengelbach erfolgt der Übertritt nach Basel zum Verein «offene Tür», Arbeit mit Drogenabhängigen. Mann half beim Drogenentzug mit, sie führte einen Haushalt mit Kindern in einem grossen Haus. Da begannen beide, das erste Mal Menschen aufzunehmen. Seit 1991 leben Widmer-Huber und ihr Mann in Gemeinschaftsformen. Die Grösse der Gemeinschaften ist dabei stetig gewachsen. Im Moosrain in Riehen begannen sie, Hausgemeinschaften zu gründen. Diese Wohnform ist für beide ein Lebensstil, der einen Menschen ausmacht. Umso mehr, wenn man anfängt, Verantwortung für Menschen zu übernehmen, die kommen und gehen.

Diakonische Hausgemeinschaften Riehen

Inwiefern ist das Leben mit Jesus im Zentrum als Leitmotiv prägend in den WG’s?

Bei uns ist es der Schlüssel, denn dort ist der Segen verheissen im Psalm 133. Dass dort wo Menschen in Gemeinschaft leben, auch Gott wohnt. Bei uns im Moosrain ist es sehr zentral. Wir haben auch anfangs jeder Woche einen neuen Bibelvers als Tischkarte, den wir aus dem Losungsbüchlein ziehen und bei jedem Essen vorlesen.

Ein Leben am Rande der Gesellschaft birgt ein hohes Risiko der gesellschaftlichen Isolation. Wie erleben Sie das bei den Bewohnenden? Wie hat sich das – seit sie hier wohnen – verändert?

Das sind ein paar Fragen… also, der «Mensch am Rand». Wir haben auch schon obdachlose Menschen oder solche, die von Obdachlosigkeit bedroht waren, aufgenommen hier. In beiden Fällen, die wir hier haben, spüre ich eine enorme Dankbarkeit, wieder irgendwo dazu gehören zu dürfen. Andererseits aber auch eine wahnsinnige Angst, nicht wertvoll genug zu sein, ein Teil hiervon zu sein. Diese Menschen spüren, dass es auch weh tun kann, von jemandem geliebt und wertgeschätzt zu werden. Da seid ihr von der Heilsarmee stärker unterwegs als wir, aber auch das erleben wir. Dass eine Gemeinschaft auch schmerzhaft sein kann, weil man sie nicht mehr hatte. Die Frage ist dann, gelingt es? Flüchtet so ein Mensch dann, vor lauter Schreck, er könnte geliebt werden, oder hält er den für ihn damit verbundenen Schmerz aus? Wenn es gelingt, habe ich auch schon sehr berührende Zeugnisse der Dankbarkeit gehört…

… haben Sie hierzu ein Beispiel?

Wir haben hier im Haus jemanden, der in Basel sozusagen gestrandet ist, in einer riesigen Verzweiflung. Im Gottesdienst und Gebet kann sie sagen, «Ich bin so, so dankbar, dass ich hier im Moosrain wohnen darf.» Sie hat wieder Halt und Zuversicht gefunden und wir konnten sie beruflich unterstützen. Sie steht wieder im Leben!

Halleluja!

Und das andere Beispiel, eine Person, die momentan wahnsinnig kämpft, genau auf der Schnittlinie zwischen «ich habe es doch nicht verdient» und «gell, du schickst mich dann nicht fort?! Was muss ich tun, damit ich hierbleiben kann?» Im ersten Beispiel fand die Person durch das Leben bei uns zum christlichen Glauben: Zu üben, was heisst es, im Gottvater einen Vater zu haben, der mich bedingungslos liebt.

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WG's aus der Einsamkeit

Das Moosrain ist Teil der diakonischen Hausgemeinschaften Riehen, die dem Verein "offene Tür" angehört.

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