Der HERR ist mein Fels, meine Festung und mein Erreter, mein Gott, meine Zuflucht, mein sicherer Ort.
2. Samuel 22:2-3
Eine Geschichte über drohende Obdachlosigkeit, ein Kleinkind im Passantenheim und was dies mit Weihnachten zu tun hat.
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Aus der Weihnachtzeitung 2021 der Heilsarmee:
Das erste Mal treffe ich Ester* bei einem Einsatz mit dem Rahab-Team** vor einer stadtbekannten Kontaktbar in Bern. Danach dauert es zwei Jahre, bis ich sie wiedersehe – diesmal nach einem Gottesdienst in einer Kirche in Bern.
* Name geändert / ** Rahab: Aufsuchende Arbeit der Heilsarmee im Rotlichtmilieu
Ester ist schwanger und glücklich. Sie erzählt, dass sie hofft, zu heiraten und in der Schweiz bleiben zu können. Bald stellt sich jedoch heraus, dass der Vater des Kindes nichts von einer Heirat wissen will und gar behauptet, das Kind sei nicht von ihm. Ein Vaterschaftstest beweist zwar später das Gegenteil, aber er bricht die Beziehung zu ihr ab und heiratet kurz darauf eine andere Frau.
Der Antrag von Ester auf eine Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz ist hängig, allerdings stehen die Chancen schlecht bei dieser Ausgangslage. Und auch sonst sehen ihre Zukunftsaussichten düster aus: Sie hat kein Einkommen, keinen legalen Status und keine Wohnung. Vorübergehend ist sie bei einer Kollegin untergekommen, aber deren Ehemann macht ihr klar, dass sie so bald wie möglich eine andere Wohnmöglichkeit suchen muss. Unterdessen rückt der Tag der Geburt immer näher und es ist keine Lösung in Sicht. Unter diesen schwierigen Umständen bringt Ester schliesslich ihren ersten Sohn zur Welt. Die Freude ist gross – aber wohin soll sie jetzt mit dem Kleinen?
Was mich an Ester tief beeindruckt, ist ihr fester Glaube an Gott. Obwohl sie schon während Jahren Schlimmes durchlebt hat, trotz der Enttäuschung, verlassen worden zu sein, trotz aller Ungewissheit, hat sie ein beinahe kindliches Vertrauen, dass Gott für sie sorgen wird!
Die ersten paar Wochen nach der Geburt darf sie nochmals bei ihrer Freundin unterschlüpfen. Unterdessen können wir als Rahab-Team ein Zimmer im Passantenheim der Heilsarmee in Bern organisieren. Das Passantenheim ist eigentlich als Übergangslösung gedacht, jedoch zieht sich der Prozess um die Vaterschaftsanerkennung und Aufenthaltsbewilligung hin, sodass Ester mit ihrem Sohn schlussendlich fast ein Jahr dort verbringt. Sie und der Kleine werden bestens umsorgt und fühlen sich gut aufgehoben. Trotzdem ist klar, dass dies kein Zuhause auf Dauer ist.
Plötzlich geht alles schnell: Das Passantenheim ruft an, dass die Polizei da ist. Ester muss innerhalb von 24 Stunden aus der Schweiz ausreisen, zurück nach Italien, wo sie sich in den letzten Jahren aufgehalten hat. Der Schock ist gross, Ester wie gelähmt. Wir setzen alle Hebel in Bewegung und versuchen, wenigstens eine längere Ausreisefrist zu erwirken – vergeblich. Es bleibt nichts anderes übrig, als in den paar verbleibenden Stunden das Nötigste zu packen und ein Zugticket nach Italien zu buchen. Nach einigen Wochen – Ester hat wieder einmal provisorisch bei irgendeiner alten Bekannten Unterschlupf gefunden – bricht der Kontakt ab. Ihre Telefonnummer ist nicht mehr in Betrieb. Ich habe keine Ahnung, ob sie und der kleine Junge überhaupt noch ein Dach über dem Kopf haben.
Drei Jahre später: Ich erhalte einen Anruf von einer mir unbekannten Nummer und brauche erst mal ein paar Sekunden, bis ich Esters Stimme wiedererkenne! Sie hat in Deutschland einen Antrag auf Aufenthalt gestellt und – was wirklich an ein Wunder grenzt – die Bewilligung bekommen. Nun lebt sie schon seit einiger Zeit dort, hat einen guten Mann gefunden und unterdessen nebst ihrem Sohn auch eine süsse kleine Tochter. Stolz schickt sie mir Fotos ihrer Familie und von der hübschen, sauberen Wohnung, wo sie nun endlich zuhause ist! Ester hat durch alle Schwierigkeiten hindurch ihr Vertrauen immer auf
Gott gesetzt. Und sie hat erlebt, dass Gott ihr Versorger, ihr sicherer Ort ist!
Erlebnisbericht einer ehemaligen freiwilligen Mitarbeiterin bei Rahab Bern