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Da stand Nicolas nun – ohne Job, ohne Wohnung und ohne einen Rappen in der Tasche. Lediglich ein paar wenige Habseligkeiten hatte er mitgenommen. Wie war es dazu gekommen? Nach seiner Kündigung im Behindertenheim hatte Nicolas sich mit verschiedenen Jobs über Wasser gehalten. Dann wurde seine Frau krank. Durch die Krankheit entfremdeten sich die Ehepartner und die Beziehung ging auseinander. Nicolas verliess die gemeinsame Wohnung und liess (fast) alles zurück. Mit seiner Frau hatte er in der Romandie gelebt. Nun zog es ihn zurück in seinen Heimatkanton Zürich – arbeitslos, wohnungslos und mittellos.
Ein Leben draussen ist kein romantisches Abenteuer
Da Nicolas nicht wohnhaft war in der Stadt Zürich, hatte er auch keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Das wollte er aber auch nicht. Bis anhin hatte er sich jeder Herausforderung und jedem Problem immer aus eigener Kraft gestellt. Seine Fähigkeit, sich schnell auf geänderte Umstände einzustellen und sein Organisationstalent, kamen ihm nun zugute.
«Ich fand einen Platz – oder besser mehrere, um ausweichen zu können – am Stadtrand von Zürich. Dort habe ich mich gut eingerichtet. Diese Plätze waren auch nicht leicht zugänglich. Selbst der Förster, der Jäger oder sonst jemand von der Obrigkeit verirrte sich nur selten dahin. Organisation ist wichtig. Ich habe mich Robinson Crusoe-mässig eingerichtet. Meine Habseligkeiten habe ich, so gut es ging, vor der Witterung und der Tierwelt verstaut. Bis auf ein paar hartnäckige Mäusefamilien ist mir dies auch gelungen. Dennoch: Draussen zu leben ist kein romantischer Lebensstil und hat nichts Verlockendes.»
Ohne Arbeit, keine Wohnung – ohne Wohnung, keine Arbeit
Ohne eine Wohnadresse ist es (beinahe) unmöglich eine Arbeitsstelle zu finden. Das hat auch Nicolas erlebt. Aber auch hier wusste Nicolas sich zu helfen. Unmittelbar begann er abends als freiwilliger Helfer im Pflegeheim, wo auch seine Mutter untergebracht war, zu arbeiten. So war er jeden Abend für ein paar Stunden geschützt vor Wind und Wetter, kümmerte sich einfühlsam um die Bewohnenden und konnte dafür von der Infrastruktur profitieren – mal eine warme, reinigende Dusche, mal saubere Kleider. Nach seinem Einsatz im Pflegeheim legte er sich für ein paar Stunden hin, um dann gegen vier Uhr morgens wieder in die Stadt zurückzukehren, um Zeitungen auszutragen. Im Anschluss verkaufte er dann noch zusätzlich das Strassenmagazin Surprise.
Nicolas Weg zur Heilsarmee
Während seiner Zeit draussen, hatte Nicolas auch immer wieder Kontakt mit der sip (sip züri – aufsuchende Sozialarbeit auf Zürichs Strassen): «Die sip war sehr liebevoll mit mir. Sie sind immer wieder gekommen, haben mich zum Kaffee eingeladen und haben sich auf eine kollegiale Art und Weise zu mir gestellt. So habe ich es auch einer Person der sip zu verdanken, dass die Stadt Zürich sich bereit erklärte, mir Sozialhilfe zu leisten.»
«Das Zimmer ist wichtig. Hier kann ich alles ordnen, alles ist in Sicherheit. So auch meine Bücher. Ich fühle mich wie ein Millionär, der all das Materielle anordnen kann. Das ist ein super Gefühl.»
Nach dieser Zusage kam er im Wohnhaus der Heilsarmee an der Molkenstrasse unter. «Die Aufnahme hier bringt Ruhe. Ich hätte weiter draussen leben können, das wäre kein Problem gewesen. Ich weiss, wie es funktioniert, ich kenne die Gesetzmässigkeiten und ich kann mich mit allem vertraut machen, was meine Art des Draussen-Lebens möglich macht. Aber es ist ein Kampf – und die Heilsarmee war die Lösung für diesen Kampf.»
Nicolas ist sehr dankbar und zeigt dies auch. So hilft er gern im Wohnhaus mit, unterstützt andere Bewohnende und setzt sich entsprechend seiner Möglichkeiten für die Belange Obdachloser ein. So verteilt er auch immer wieder kleine Zahnpastatuben, Zahnbürsten und Zahnseide für die Mundhygiene: «In all den Jahren hatte ich einmal für zwei Wochen heftige Zahnschmerzen. Das war grausam. Ich möchte das für andere vermeiden.» Seine Arbeit im Pflegeheim musste er aufgrund der Pandemie aussetzen. Das Zeitungsaustragen wie auch der Verkauf des Strassenmagazins Surprise gehören aber weiter zu seinem Alltag.
Bei der Heilsarmee hat Nicolas Stabilität und Ruhe gefunden – und die Möglichkeit sein Leben mit einer Frau zu teilen. Seine Partnerin ist für ihn auch das wichtigste, steht sie doch voll und ganz hinter ihm. «Ich bin glücklich, etwas zu haben und bin dankbar dafür. Für alles – sei es für das Essen oder vor allem für das Zimmer, sei es für eine Aktivität, für ein Gespräch, aber auch für die Gemeinschaft mit anderen Menschen, die alle auch irgendein Problem mit sich tragen. Wobei das für jeden Menschen auf dieser Welt gilt – aber bei der Heilsarmee wird es offenbarer.» Sein Wunsch für die Zukunft: «Eine Stelle in der Pflege.»
Angebote der Heilsarmee für Obdachlose
Die Geschichte von Nicolas zeigt, wie wichtig ein festes Dach über dem Kopf ist. Ein Zuhause ist mehr als vier Wände und ein Dach, die einem vor Wind und Wetter schützen. Ein Zuhause bedeutet Sicherheit, ist ein Rückzugsort und eine Quelle der Ruhe und Kraft. Doch nicht alle haben dieses Glück. Die Zahl der Obdachlosen in der EU ist in den letzten 10 Jahren um mehr als 70% gestiegen und auch in der Schweiz nimmt die Zahl ständig zu.
Seit 1865 setzt sich die Heilsarmee für Menschen am Rande der Gesellschaft ein. Damals wie heute stehen wir vor grossen strukturellen Veränderungen. Damals die Auswirkungen der industriellen Revolution, die Automatisierung der Arbeit, die Arbeiter als neue Gesellschaftsschicht und neue Gesellschaftsformen wie der Kommunismus. Heute die Auswirkungen der Globalisierung, die Digitalisierung, der Klimawandel und die Corona-Krise – um nur einige zu nennen. Damals wie heute reagieren die politischen Systeme weltweit zu langsam auf den Wandel und die Herausforderungen der jeweiligen Zeit. Die Folge sind Menschen, die durch alle Maschen fallen, in Armut geraten oder obdachlos werden.
Für diese Menschen ist die Heilsarmee da. An verschiedenen Standorten in der Schweiz leistet die Heilsarmee Hilfe für obdachlose Menschen. Das Ziel ist immer, die Menschen von der Strasse zu holen. Ein Leben auf der Strasse raubt den Betroffenen die Hoffnung und Würde, oftmals auch die Selbstachtung. Mit Angeboten wie beispielsweise dem Projekt «Housing First» in Basel oder der neugebauten Notunterkunft «Le Passage» in Genf aber auch mit sozialer Wärme versuchen wir diesen Menschen den Alltag zu erleichtern.
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Gino Brenni
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