Bruno Wasser, Betreuer im Passantenheim der Heilsarmee in Bern (Bild: Ruben Ung)

Bruno war als Kind ein ziemlich introvertierter Typ, in der Schule wurde er oft gehänselt wegen seines Sprachfehlers. Er konnte sich nicht verbal wehren, so hat er sich mit den Fäusten Respekt verschafft. «Da brauchst du eine gute Haftpflichtversicherung, wenn du jemandem das Nasenbein gebrochen hast oder sonst was.» Seine Eltern hatten oft Streit und er fühlte sich allein, überfordert, konnte mit niemandem reden. «Was ich dann vielleicht gebraucht hätte, wäre ein guter Jugendarbeiter gewesen oder ein guter Freund.» Sein Weg in die Drogensucht begann früh. Mit 16 Jahren hat er bereits Hasch gedealt, dann wurde er bei einer Razzia erwischt. «Da bin ich dann zum ersten Mal auf dem Posten gelandet, durfte zum ersten Mal in einem Polizeiauto fahren, das erste Mal in Handschellen.» Während neun Jahren konsumierte er Drogen, fünfeinhalb Jahre hing er an der Nadel, hat x-mal versucht auszusteigen, es hat nie geklappt. Erst als Bruno völlig kapitulierte, kam der Wendepunkt.

Der letzte Halm

Irgendwann trat Bruno für einen Entzug in eine christliche Institution ein, dort gab es Andachten und er ging mit in die Gottesdienste am Sonntag. So hat er «ein bisschen was mitbekommen» vom christlichen Glauben. Bis dahin hatte er nichts am Hut mit Gott, auch die Eltern nicht, im Gegenteil. Als Bruno nicht mehr weiterwusste, völlig am Anschlag war und merkte, dass er draufgehen würde, wenn er so weitermachte, ging er nach Hause, zu seiner Mutter. Und da hat er zum ersten Mal gebetet. Die meisten beten erst, wenn sie auf dem Sterbebett liegen – Bruno hatte keine andere Hoffnung mehr, das war der letzte Halm, den er hatte.

Ein Leben ohne Drogen

Der Entzug ist das eine, aber das Leben ohne Drogen ist das andere. Bruno hat ‚gute Leute‘ kennengelernt in einer christlichen Gemeinde, er hat wieder angefangen zu arbeiten und war bald wieder voll integriert. «Das soziale Umfeld ist sehr wichtig. Auf der Gasse hast du eigentlich keine Freunde. Also, sie sagen vielleicht schon, sie seien Freunde, aber die verarschen dich, wenn es um den Stoff geht.» Bis er später geheiratet hat, hat Bruno in verschiedenen WGs gewohnt, unter anderem in einer christlichen Gemeinschaft, wo sie sehr verbindlich zusammengelebt haben. «Das braucht es, du brauchst Christen, eine Gemeinschaft von Leuten, die für dich da sind, die auch für dich beten.»
Was es aber auch braucht: die eigene Entscheidung. «Es hängt auch viel von dir selber ab. Wenn du Kompromisse machst, wenn du sagst, ja, nur einmal oder so – das liegt nicht drin.» Und es benötigt das Bewusstsein: Ich brauche Gott. «Jesus ist nicht gekommen für die Gesunden, sondern für die Kranken. Und wir sind krank, eigentlich, wir brauchen Gott, und ich bin froh, dass ich das sagen kann.»
Auch sein Umfeld bemerkte natürlich die Veränderung, die positive Entwicklung von Bruno. «Mein Vater ging zuerst mal auf Distanz, weil er gemeint hat, das ist irgendwie eine neue Droge.» Nach einem halben Jahr Clean-Sein ging Bruno wieder raus auf die Gasse, diesmal als Gassenarbeiter. «Die Polizisten wussten zu Beginn nicht, wo sie mich ‚hintun‘ sollten – ist das jetzt ein Abhängiger oder was … Später habe ich angefangen, mit den Polizisten zu reden und wir haben sogar ‚Duzis‘ gemacht.» Heute trifft er manchmal dieselben Beamten wieder, wenn sie zu einem Einsatz ins Passantenheim gerufen werden.

«Ich nehme jeden so, wie er ist.» Das ist Bruno Wasser wichtig, auch bei seiner Arbeit als Betreuer im Passantenheim der Heilsarmee in Bern.

Annahme ohne Bedingungen

Im Passantenheim der Heilsarmee in Bern finden die unterschiedlichsten Leute für kurze oder auch längere Zeit Unterschlupf – und viele von ihnen bringen eine Suchtproblematik mit. «Suchtleute, also wirklich Abhängige von den harten Substanzen, haben wir etwa ein Viertel», erklärt Bruno. Das bringt viele Herausforderungen mit sich. «Wenn jemand zu viel Alkohol getrunken hat, wird er entweder aggressiv oder traurig, wenn jemand auf Entzug kommt, dann wird er oft ungeduldig und kann auch aggressiv werden.» Das ist eine Belastung sowohl für die anderen Bewohnenden als auch für die Mitarbeitenden. Es kommt immer wieder zu Situationen, wo die Polizei gerufen werden muss – allerdings nicht nur wegen den Folgen von Drogenkonsum, manchmal führen auch Kleinigkeiten wie zum Beispiel stinkende, herumliegende Socken zu einer Eskalation.

Bei seiner Arbeit als Betreuer ist Bruno vor allem eines wichtig: «Ich nehme jeden so, wie er ist. Ob er jetzt Muslim ist oder Buddhist, ob er stinkt oder nicht stinkt.» Und wenn in einem Gespräch mit einem Bewohner das Thema Glauben aufkommt, dann ist er offen, dann ist er bereit und erzählt, was er erlebt hat, was ihm wichtig ist und dass der Glaube helfen kann. «Aber ich bin nicht einer, der den Leuten die Bibel um die Ohren schlägt. Für mich ist viel wichtiger, dass ich wahr bin, echt bin. Dass ich einen Glauben habe, der mir hilft, aber dass ich trotzdem noch Mensch bin und nicht perfekt.»

Gleichzeitig ist es ihm aber auch wichtig, Grenzen zu setzen. «Wenn jemand hier zu mir kommt und sagt ‚Kannst du mir helfen‘, dann bin ich offen. Ich habe aber einige Zeit Gassenarbeit gemacht und bin zu dem Punkt gekommen, dass ich zuerst frage ‚Willst du wirklich aufhören? Du hast ein Ja gehabt zu den Drogen, dann solltest du auch wieder ein Ja haben zum Ausstieg. Dann helfe ich dir. Und sonst lassen wir es‘.

Vertrauensvolle Beziehungen

Dass Menschen mit einer Suchterkrankung bedingungslose Annahme geschenkt wird, das wünscht sich Bruno auch in Bezug auf die christlichen Gemeinden. Dass sie integriert werden, dass man sie so nimmt, wie sie sind, ob mit oder ohne Drogen. «Mich hat mal jemand mitgenommen in einen Gottesdienst. Dort haben alle die Hände hochgehalten und ich habe mir gedacht, wem winken denn die? Auf jeden Fall war ich ganz hinten, habe gekifft in der Kirche. Nachher ist der Leiter der Gemeinde zu mir gekommen und der hat nicht gesagt ‚hey, geh raus‘, er hat mich erst mal gefragt, wie ich heisse, hat Interesse gezeigt an meiner Person

Die Veränderung – wenn jemand integriert ist in einer Kleingruppe oder im Gottesdienst, Gemeinschaft hat mit den Leuten – die wird dann automatisch passieren, davon ist Bruno überzeugt. Veränderung zum Positiven. «Denn wenn man auf Gott schaut, der positiv ist, dann muss es ja eine positive Veränderung geben.»

Wichtig ist aber auch, dass eine Person mit einer Suchtproblematik eine Vertrauensperson hat, der sie sagen kann, wenn es ihr im Moment nicht gut geht. Und manchmal kann man wirklich nur beten im Hintergrund und hoffen, dass Gott das Herz verändert.

«Ich habe lange gemeint, damit ich Anerkennung bekomme, muss ich leisten. Zum Glück ist es bei Gott nicht so. Er liebt dich so wie du bist und du musst nichts beweisen oder leisten.»

Bruno Wasser Betreuer im Passantenheim der Heilsarmee in Bern

Keine unmöglichen Fälle

Bruno konnte sich lange Zeit nicht vorstellen, drogenfrei zu leben. «Das hätte ich nie gedacht, dass ich kein Reissen und kein Verlangen mehr habe.» Denn lange Zeit war es das Heroin, das ihm die Wärme und Geborgenheit gab, nach der er sich sehnte. «Ich habe lange gemeint, damit ich Anerkennung bekomme, muss ich leisten. Zum Glück ist es bei Gott nicht so. Er liebt dich so wie du bist und du musst nichts beweisen oder leisten.»
Nebst seiner Arbeit im Passantenheim ist Bruno auch seit vielen Jahren in der Präventions- und Aufklärungsarbeit zum Thema Sucht tätig. Als Ausgleich widmet er sich in seiner Freizeit dem Malen von Bildern, das hilft ihm, zur Ruhe zu kommen.

Klar ist für Bruno eines: «Für mich gibt es keine unmöglichen Fälle. Da kann einer noch so lange drauf sein – Gott kann ihn frei machen! Ich zähle auf das, ich glaube, dass das möglich ist!»

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